Zweisprachige polnische und deutsche geografische Bezeichnungen sind für viele Einwohner Oberschlesiens von großer Bedeutung. Für sie sind sie ein Symbol für das Recht, ihre kulturelle Eigenständigkeit und soziale Gleichheit zu betonen. Und tatsächlich gibt es in Oberschlesien mehrere hundert Orte, vor denen solche zweisprachigen Tafeln stehen. In den letzten Jahren wurden jedoch die Möglichkeiten für ihre weitere Anbringung eingeschränkt. Nach Ansicht vieler lokaler Behördenvertreter ist dies auf eine allgemeine Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen zurückzuführen.
Das Gesetz über nationale Minderheiten legt genau fest, in welchen Ortschaften zweisprachige geografische Bezeichnungen angebracht werden können. Es macht diese Möglichkeit von den Ergebnissen der Volkszählung abhängig. Wenn in der Gemeinde mindestens 20 % der Einwohner ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten nationalen Minderheit erklärt haben, können solche Tafeln aufgestellt werden.
In der Praxis ist dies jedoch nur Theorie. Die Gemeinde Rudnick im Bezirk Ratibor zum Beispiel erfüllt diese Kriterien. Bei der Volkszählung 2011 gaben 25,4 % der Einwohner der Gemeinde die deutsche Staatsangehörigkeit an. In der Gemeinde befindet sich die Heimatstadt von Joseph von Eichendorff, Lubowitz, die seit 2008 solche zweisprachigen Schilder an ihrem Eingang hat. Die Verwaltung der Gemeinde Rudnick hat 2017 das Innenministerium gebeten, solche Tafeln auch vor anderen Dörfern aufstellen zu dürfen. Bis heute hat sie diese Erlaubnis nicht erhalten.
Die Verleihung des Rechts auf zweisprachige Ortsnamen ist eine selbstverständliche und weit verbreitete Praxis in Europa. Solche Tafeln sind in vielen Ländern zu sehen, zum Beispiel in Deutschland, Österreich oder Frankreich. Auch in Polen gibt es Tausende solcher zweisprachigen Schilder. Doch die Erteilung von Genehmigungen für weitere zweisprachige Tafeln stößt auf erheblichen Widerstand.
Der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Rudnick, Tomasz Kruppa, ist der Ansicht, dass die Verzögerungen bei den zweisprachigen Schildern unter anderem auf die zunehmend schlechter werdenden deutsch-polnischen Beziehungen zurückzuführen sind.
Aber auch bei den polnischen Nachbarn stößt die Aussicht auf die Schaffung weiterer zweisprachiger Tafeln auf großen Widerstand. Das zeigen zahlreiche Kommentare in den sozialen Medien. Ein Internetnutzer schrieb:
"Na ja, es fängt ja schon an. Wir sind hier schließlich nicht in Deutschland und das Dorf heißt offiziell und amtlich Rudnick. Die offizielle Sprache in diesem Land ist Polnisch".
Ähnlich schrieb ein anderer Internetnutzer:
"Keine Namensänderungen!!! Dies ist Polen und es wird nicht das sein, was die Autochthonen wollen".
Die Verfasser dieser Kommentare scheinen vergessen zu haben, dass sie sich (wahrscheinlich) gleichzeitig über slawisch-deutsche Doppelnamen in der deutschen Lausitz oder polnische Ortsnamen in Litauen freuen. Dort sind solche Tafeln für sie wohl selbstverständlich.
Die Schöpfer des Gesetzes über nationale Minderheiten von 2005 haben eine scheinbare Kleinigkeit in seinen Bestimmungen übersehen. Es besagt zwar, dass die Bewohner von Minderheitengemeinschaften das Recht auf zweisprachige Tafeln haben, aber das Gesetz verpflichtet die polnische Regierung nicht zu irgendwelchen Fristen bei der Erteilung solcher Genehmigungen. Nach dem Gesetz hat die Regierung das Recht, eine solche Entscheidung zu treffen, wenn sie es für richtig hält. Die autochthonen Einwohner von Rudnick müssen also möglicherweise weitere 20 Jahre auf diese scheinbar selbstverständliche Genehmigung warten. Hoffen wir jedoch, dass dies nicht der Fall sein wird.