Josef Schmidt gewann unter der polnischen Fahne Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Mexiko und Tokio. Der japanische Kaiser war von seinen sportlichen Erfolgen so begeistert, dass er ihm sogar an Bord seines Privatjets sein Land zeigte. In Polen wurde er jedoch so geschämt, dass er 1975 beschloss, nach Deutschland zu fliehen. Da er noch innerhalb der deutschen Grenzen geboren wurde, erhielt er in Westdeutschland den Vertriebenenausweis.
Josef Schmidt wurde 1935 in Beuthen Mieschowitz geboren. Seine Kindheit wurde durch die Kriegszeiten geprägt. Schmidts Vater diente in der Wehrmacht und wurde an der Front in Norwegen getötet. Seine Mutter, als erklärte Deutsche, sollte 1946 nach Deutschland deportiert werden. Sie beschloss jedoch, alles zu tun, um in ihrer Heimatstadt Beuthen zu bleiben. Sie wollte ihr seit Generationen gesammeltes Erbe nicht hinterlassen. Außerdem hatte sie Angst vor der neuen Situation im durch den Krieg zerstörten Deutschland.
Josef war gezwungen, sich dem Polonisierungsprozess zu unterwerfen. Josef Schmidt wurde daher zu Józef Szmidt, ähnlich wie seine Geschwister - Bruder Eberhardt wurde zu Edward, und Schwester Ingeborg hieß von dann an Irena. Das Erlernen der polnischen Sprache, die sie bis dahin überhaupt nicht kannten stellte für die Geschwister ein großes Problem dar.
Der spätere Olympiasieger hatte sich nie eine sportliche Karriere für sich selbst vorgestellt. Eigentlich sollte er ein Bergmann oder Mechaniker werden und wurde nur dank seinen Bruders durch Zufall zum Sportler. Eines Tages schleppte er den schüchternen Josef mit Gewalt in den Verein "Górnik Zabrze". Von da an achtete der vier Jahre ältere Edward, dass Josef das Training nicht verpasste.
Edward (Eberhardt) gewann fünfmal die polnische Laufmeisterschaft. Jedoch erst sein jüngere Bruder Josef kletterte sich selbst an die absolute Spitze: Viermal holte er die Goldmedaille im Dreisprung - zweimal bei den Olympischen Spielen und zweimal bei den Europameisterschaften. Dort repräsentierte er das polnische Team.
Durch seine Sprünge wurde Józef Szmidt zu einer lebenden Legende: Er war der erste Mensch in der Geschichte, der die 17-Meter-Marke übersprang. Sein Rekord wurde erst 8 Jahre später gebrochen. Aus diesem Grund erhielt er den Spitznamen "Känguru von Schlesien". Er erlangte Popularität, die er nie erwartet hatte. Er selbst meinte das sich nie siegessicher fühlte und das seine Erfolge reine Glückssache waren. Seine Bescheidenheit bezeichnete er als einen typisch schlesischen Charakterzug. 1960 wurde er von „Przegląd Sportowy“ zum Besten polnischen Sportler ernannt.
Trotz seines Ruhmes waren seine Erfolge mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Für seine Rekorde erhielt Szmidt Kleinigkeiten. Wie sich der Champion erinnert, waren das ein Radio, ein Kassettenrekorder, ein Kaffeeservice oder ein Koffer.
Andere verdienten dagegen Geld. Sein Trainer verkaufte privat einen von Szmidt persönlich erstellten Trainingsplan an andere Trainer bei den Spielen in Mexiko. Unterdessen bezahlte Józef Szmidt seine Erfolge mit seiner Gesundheit. Seine sämtlichen Verletzungen stellten weitere Siege in Frage.
Auch seine Reise nach Tokio 1964 stand aufgrund eines Meniskusschaden, der weniger als drei Monate zuvor operiert worden war, auf dem Spiel. Die Operation war so kompliziert , dass er sogar Probleme beim Gehen hatte. Das Polnische Olympische Komitee weigerte sich, ihn nach Japan zu schicken. Sie bevorzugten es sogar, andere dorthin zu schicken. Erst die Unterstützung der Polonia ermöglichte ihm eine Teilnahme an den Spielen. Szmidt (Schmidt) überwand seine starken Knieschmerzen und verteidigte seinen vier Jahre zuvor erworbenen Titel. Im So wurde er 1964 erneut als bester polnischer Sportler anerkannt. Doch schon 1971 schrieb die Presse, dass Leute wie er in Polen nicht mehr gebraucht würden.
Szmidt hatte immer größere gesundheitliche Probleme. Außerdem hatte er eine immer stärkere Sehnsucht, in die deutsche Umgebung zurückzukehren, die sie an seiner Kindheit erinnerte. Er schämte sich nicht dafür, dass bei ihm zu Hause nur Deutsch gesprochen wurde. Das hatte aber seine Konsequenzen. Die Menschen in seinem Umfeld konnten ihm seinen gebrochenen Akzent und seine deutsche Herkunft nicht verzeihen.
Józef Szmidt konnte in Polen keine Arbeit finden und hatte kein Geld, um seine Frau Lucja und seine beiden Söhne zu unterstützen. Er fühlte sich ausgenutzt und betrogen. Seine Frustration war so groß, dass er in einem Radiointerview sich äußerte, er werde aus Protest nicht zu den Wahlen gehen, weil er für die PZPR stimmen müsse. Diese Aussage löste einen Skandal aus, in dessen Folge die Zensur verbot, seinen Namen überhaupt in den Medien zu erwähnen. Seine materielle Situation verschlechterte sich nach diesem Ereignis dramatisch. Er war jetzt nur noch ein deutscher Verräter. Die Anfeindungen gegen ihn waren so stark, dass es den Menschen peinlich war, ihn auf der Straße anzusprechen. Er war dazu verurteilt, in Vergessenheit zu geraten und an den sozialen Rand gedrängt zu werden.
Schmidt beantragte mehrmals die Erlaubnis, nach Deutschland zu ziehen. Doch die Vorstellung, dass eine polnische Sportlegende sich öffentlich als Deutscher bekennen und in den Westen ziehen könnte, wurde als große internationale Blamage empfunden. Daher wurden seine Ausreiseanträge stets abgelehnt. Auf diese Weise wurde Józef Szmidt zum Opfer seiner eigenen Erfolge.
Durch eine Unaufmerksamkeit der polnischen Passabteilung wurde ihm 1975 die Genehmigung für eine Fanreise nach Amsterdam erteilt. Die deutschen Behörden gaben ihm sofort die Möglichkeit, nach Westdeutschland zu reisen, wo er den Status eines Vertriebenen erhält. Einige Monate später kamen seine Söhne und ein Jahr später auch seine Frau nach. Sie musste ihr gesamtes Vermögen verkaufen, um das Geld für das Bestechungsgeld für den Reisepass aufzubringen.
In Deutschland fing die Familie von Null an. Sie schliefen auf 2 Sofas und aßen von gemeinsamen Tellern. Auch hier hat sich seine internationale Karriere nicht in ihrer finanziellen Situation niedergeschlagen. Aber sie schafften es. Seine Frau war von Beruf Krankenschwester. Er, als Sportler, hatte therapeutische Kompetenzen. Ihre berufliche Situation stabilisierte sich, und sie begannen langsam, wieder ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber auch dort, konnte sich Józef Szmidt nicht an die neue, unbekannte Umgebung gewöhnen und fühlte sich fremd.
Nach der Wende im Jahr 1989 besuchte Jozef Szmidt seine Heimatstadt Miechowitz, wo er mit Begeisterung empfangen wurde. Doch er konnte die Entscheidung, in seine Heimatstadt zurückzukehren nicht treffen.
Im Jahr 1994 kaufte er einen verfallenen Bauernhof und mehrere Dutzend Hektar im ehemaligen Ostpreußen, in der Nähe von Dramburg. Dies waren die Heimat seiner Frau. Er spezialisierte sich auf die Ziegenzucht. Er lebt aber von seiner deutschen Rente.
Mit der polnischen Sport- und Politikelite will er nichts zu tun haben und verweigert konsequent jeweiligen Kontakt. Noch immer spürt er die Bitterkeit der Demütigung, die er in Polen erlitten hat.
Im Jahr 2008 gelingt es einem Journalisten der Gazeta Wyborcza, das Vertrauen von Józef Szmidt zu gewinnen. Er zeigt ihm seinen Hof und erlaubt ihn dort Fotos zu machen. Seinen Ziegen rief der Bauer "komcie, komcie!" zu. - Dieses Kommando wurde aus einer Kombination des deutschen "Komm" und des polnischen "chodźcie" gebildet.
Joseph Szmidt (Joseph Schmidt) starb am 29.07.2024. Drei Tage nach dem Beginn der nächsten Olympischen Spiele und zwei Wochen nach dem Tod seiner geliebten Frau Lucia.
Seine nationale Zerrissenheit führte dazu, dass er von fast allen in Vergessenheit geriet. Die neuen polnischen Behörden bestanden 1946 darauf, dass seine Mutter und ihre Kinder nach Deutschland ausreisen. Was wäre Joseph Schmidts Schicksal gewesen, wenn er sich als Kind wie der Rest seiner Familie in Düsseldorf niedergelassen hätte? Wäre er überhaupt ein Sportler geworden? Hätte er auch olympische Medaillen für Deutschland gewonnen? Wir werden es nie erfahren. Sicherlich wäre er nicht politisch verfolgt worden und wäre frei von allen materiellen Sorgen gewesen.