Deutschsein muss etwas bringen

Dietmar Brehmers Konflikte mit der Minderheit

Dietmar Brehmer hält es für sein wichtigstes Ziel, konsequent an der Verbesserung der Wahrnehmung dieser Gemeinschaft durch die polnische Mehrheit zu arbeiten. Er ist vielleicht einer der engagiertesten Befürworter einer Annäherung der Minderheit an die schlesischen Organisationen. Er ist aber auch einer derjenigen, die besonders viele Emotionen und Kontroversen hervorrufen.

Dietmar Brehmer senior

Dietmar Brehmer ist durch das Bewusstsein der Verbrechen belastet, die die Deutschen vor mehreren Jahrzehnten an den Völkern Europas begangen haben. Gerade in Polen nahm die Besatzung besonders grausame und rücksichtslose Züge an. Daher ist er der Überzeugung, dass es seine persönliche Pflicht ist, seinen Nachbarn zu helfen, die aus verschiedenen Gründen in Armut geraten sind. Aus dieser Motivation heraus gründete er vor vielen Jahren die Oberschlesische Wohltätigkeitsgesellschaft. 

Brehmer weist darauf hin, dass neun Prozent der Kattowitzer Bevölkerung in Armut lebt. Dabei handelt es sich hauptsächlich um ältere Menschen, die oft mit 600 PLN im Monat auskommen müssen. Am Ende des Monats fehlt ihnen das Geld, um Miete, Heizkosten oder Medikamente zu bezahlen. Aber es gibt auch viele junge Menschen, die das Schicksal nicht verschont hat und die zu den Bedürftigen gehören. Diese meist alleinlebenden Menschen wenden sich hilfesuchend an die Oberschlesische Wohltätigkeitsgesellschaft.

Brehmer ist überzeugt, dass charitative Tätigkeit nicht aus einmaligen Aktionen bestehen darf, sondern aus harter, kontinuierlicher Arbeit. Mit einem Team von 15 Mitarbeitern gibt Brehmer täglich bis zu 500 Mahlzeiten an Bedürftige aus. Zu den Höhepunkten des Jahres gehört das Heiligabendessen im Hauptsitz der Gesellschaft in der Nähe des schlesischen Sejms in Kattowitz. Im vergangenen Jahr kamen 250 Personen zu Brehmers Weihnachtsfeier. Auch am ersten und zweiten Weihnachtstag können bedürftige Menschen bei ihm mit einem Weihnachtsessen rechnen. Brehmer ist in seine charitativen Arbeit so engagiert wie damals in der Zeit der Wende, als die Deutschen in Oberschlesien um Anerkennung kämpften.

Dietmar Brehmer war einer der Gründer der deutschen Minderheitenorganisationen. Zunächst gründete er in Kattowitz die Gemeinschaft „Versöhnung und Zukunft“. Später bildete er gemeinsam mit Henryk Kroll, Friedrich Schikora, Georg Brylka und Karl Nossol 1991 den Zentralrat der Deutschen in Polen und übernahm die Rolle des Generalsekretärs. Dieser sollte die Dachorganisation aller deutschen Organisationen in Polen sein. Brehmer sagte: „Wissen Sie, wir hatten sehr gute Gespräche mit Außenminister Genscher. Ich war jung, unabhängig und voller Enthusiasmus. Die erste polnische Regierung akzeptierte unsere Forderungen, die heute wieder umstritten sind.“

Doch schon bald kam es zu Kompetenzstreitigkeiten. Die Kollegen ärgerten sich über sein zu eigenständiges Handeln und Brehmer verlor das Vertrauen der anderen Ratsmitglieder. Sie beschlossen, eine andere Dachorganisation zu gründen, den Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften (VdG) in Polen mit Sitz in Oppeln. Dietmar Brehmer und sein Verband „Gemeinschaft und Zukunft“ mussten 23 Jahre lang auf eine Einladung zum Beitritt zu diesem neuen Verband warten. Das lag daran, dass Brehmer in seinen öffentlichen Äußerungen eine weitreichende Meinungsunabhängigkeit demonstrierte. Und das sorgte für Irritationen im VdG-Vorstand.

Die Auseinandersetzungen mit der VdG-Dachorganisation schränkten jedoch seine Tätigkeit keinesfalls ein. Bei den Senatswahlen 1991 erhielt er fast 130.000 Stimmen, ein Ergebnis, das bis heute kein Deutscher in Polen erreicht hat. Gleichzeitig entstand unter seiner Leitung das erste deutschsprachige Radioprogramm im Nachkriegspolen, das „Oberschlesische Magazin der deutschen Minderheit“, bei Radio Kattowitz. Es wurde am 5. Juni 1991 zum ersten Mal ausgestrahlt. Es existiert bis heute und wird ausschließlich von dem öffentlichen Radiosender finanziell unterstützt. Brehmer gründete auch seine eigene Wochenzeitung Hoffnung, die jedoch nach einigen Jahren aus finanziellen Gründen aufgelöst werden musste. Eine bekannte Initiative ist das Archiv der deutschen Minderheit. Es entstand aus den Privatsammlungen der einheimischen Schlesier, die Brehmer vertrauten und ihm private Dokumente anvertrauten. Der vielleicht wertvollste Teil dieses Archivs sind die Akten deutscher Kriegsgefangener, die nach dem Krieg viele Jahre lang in der oberschlesischen Industrie arbeiteten. Heute ist Brehmer ein leidenschaftlicher Anhänger der Annäherung zwischen der deutschen Minderheit und den schlesischen Organisationen. Er ist der Meinung, dass beide Gruppen die gleiche schlesische Sprache sprechen und sich auf die gleiche historische Tradition berufen. Die Unterschiede zwischen diesen Gruppen haben nur einen kosmetischen Charakter. Damit wendet er sich gegen die Dogmatik, dass Autochthone ihrer deutschen Identifikation treu bleiben müssen. Diese Ausrichtung wiederum irritiert den VdG, der sich von der schlesischen Option deutlich distanziert. 

Brehmer ist der Meinung, dass es zu dieser Annäherung keine Alternative gibt, und auch hier ist er der Vorreiter einer Neuorientierung der deutschen Minderheit. Und er hofft immer noch, dass der Tag kommt, an dem sich die Leiter der beiden Organisationen zu einer gemeinsamen Weihnachtsfeier treffen werden.

Jedenfalls will er seine charitativen Tätigkeiten fortsetzen. Er sieht darin einen echten Beitrag der deutschen Minderheit zur sozialen Realität der Region. Deshalb ist und bleibt sie für ihn noch lange Zeit seine Priorität.

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Chris W. Wagner