1.11.2023
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Die Nationalität definiert einen Menschen nicht

Paweł Kukiz speziell für Spectrum.direct

Die zurückhaltende Politik der Partei Recht und Gerechtigkeit gegenüber Berlin hat die Partei nicht daran gehindert, starken Rückhalt in der deutschen Minderheit zu gewinnen. Paweł Kukiz kandidierte zur Wiederwahl im Oppelner Schlesien, ebenfalls in Deutsch dominierten Gemeinden. Er erhielt 43.000 Stimmen. Das sind fast doppelt so viele wie alle Minderheitskandidaten zusammengenommen.

Anna Stawiarski: Ihre Kandidatur als Abgeordneter für den Sejm erschien in vielen von deutschen Minderheiten dominierten Gemeinden. Mit welchen Wahlargumenten haben Sie versucht, diese Gemeinden für sich zu gewinnen?

Paweł Kukiz: Ich habe in den letzten Jahren Wahlkampf gemacht, indem ich mich in diesen Gemeinden aufgehalten habe, mich gut mit ihnen verstanden habe und vor allem mit ihnen gesprochen habe. Ich habe eine ganze Reihe von Freunden, die Autochthone sind, die einfach von hier sind, die einheimisch sind. Die Betonung der deutschen Nationalität führt zu Konflikten. Es reicht, wenn jemand sagt: "Ich bin einheimisch", das ist meine Heimat. Es ist nicht die Nationalität, die einen Menschen ausmacht, sondern das alltägliche Leben, der, der frei sein will, anderen diese Freiheit nicht wegnimmt.

Wenn jemand hier geboren ist, sich hier wohl fühlt und hier sterben will, dann hat er dir Erinnerung an seine Vorfahren verdient, mindestens in Form von zweisprachigen Ortsschildern. Das ist sein Recht und das ist eine Selbstverständlichkeit.

Ich werde das Gleiche für die Ukrainer tun, damit sie auch, in den Grenzgebieten neben den ukrainischen Ortsnamen ebenfalls die polnische Namen erscheinen. 

Ich glaube, dass Oppelner Schlesien tatsächlich ein Modell für Multikulturalismus, für Zusammenarbeit und für normales menschliches Leben ist. Hier gibt es eine so spezifische Kombination aus deutscher "Ordnung" und polnischer Fantasie. In den 1970er Jahren gab es starke gegenseitige Ressentiments zwischen Polen und Schlesiern, was heute nur noch selten vorkommt. 


- Glauben Sie, es war gut, dass die Minderheit ihren Abgeordneten im Sejm verloren hat? 

Es darf nicht sein, dass die soziokulturellen Organisationen des Oppelner Schlesien zu Vollstreckern des Willens deutscher Politiker werden, anstatt sich auf die Erhaltung der kulturellen Identität der polnischen Bürger deutscher Herkunft zu konzentrieren. Ich denke, dass es zu einem großen Teil die zu weitgehende "Politisierung" der einheimischen Kultur- und Bildungsorganisationen und die interne politische Konkurrenz der führenden Aktivisten ist, die zum Verlust eines Minderheitenvertreters im polnischen Sejm geführt hat.


- In den vorangegangenen Monaten, wenn nicht Jahren, hatte die Partei Recht und Gerechtigkeit einen klaren antideutschen Kurs vertreten. Es scheint sogar, dass sie ihr Image auf dieser Abneigung gegenüber dem Nachbarn aufgebaut hat. Gleichzeitig haben sehr viele Vertreter dieses Umfeldes die PIS bei den Wahlen unterstützt. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

 Meiner Meinung nach ist der antideutsche Kurs der polnischen Rechten zu hart, er ist vor allem auf das Thema des Hintergrundes vom Tusks und die große gegenseitige Abneigung der beiden Herren an der Spitze der beiden größten politischen Gruppierungen zurückzuführen, und leider ist das System so konstruiert, dass sich all dies auf die ganze Nation überträgt.

Es sind die Politiker, die gegenseitige Abneigung hervorrufen. Meine Aufgabe wird es sein, die polnische Rechte davon zu überzeugen, dass die Bevölkerung der Oppelner Region, die einheimische Bevölkerung, eine sehr starke Weltanschauung hat, die mit der offiziell verkündeten Sichtweise der Rechten sehr übereinstimmt. 

Ich werde sicherlich nicht die deutschen Interessen in Polen vertreten, aber ich werde die Interessen der Bevölkerung vertreten, mit der ich aufgewachsen bin. Unabhängig davon, ob man schlesischer, tschechischer oder deutscher Herkunft ist.

Was nichts daran ändert, dass auch ich der Meinung bin, dass eine zu schnelle Föderalisierung der Union für Polen und die dort lebenden Menschen schädlich ist. 


- Der Haupt Wahlslogan der Kandidaten der deutschen Minderheit war, die Diskriminierung der schlesischen Kinder gegen die PiS zu verteidigen. Warum hat die PiS eine solche Politik verfolgt?

Das, dass die Autochthonen bereitwillig für die PiS gestimmt haben, ist für mich der Beweis, dass für diese Wählerschaft die Frage des Deutschunterrichts zweitrangig ist. Und die Frage der Einschränkung des Deutschunterrichts wurde von den TSKN-Führern künstlich inszeniert. 

Mir gefällt die Aussage nicht, dass die Reduzierung des Deutschunterrichts die Schuld der PiS ist. Es war die Schuld der TSKN. Es sollte nicht vergessen werden, dass der Minderheitsabgeordnete ununterbrochen mit der Opposition zusammenarbeitete und seine Abneigung gegen die PIS demonstrierte. Und doch ist es offensichtlich, dass man mit der Partei, die die parlamentarische Mehrheit hat, Kompromisse eingehen muss. Das tut ein Politiker, der sich um die Interessen seiner Gemeinschaft kümmern will. Auch wenn er oder sie in der Weltanschauung von dieser Partei abweicht.

Das ist so, als würden die Leute sagen: "Kukiz hat sich verkauft". In gewissem Sinne, ja. Es ist nur so, dass ich mich nicht für meine parteipolitischen Vorteile "verkauft" habe, sondern für das Wohl der Gemeinschaft.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es für einen Fehler halte, dass der polnische Staat die Finanzierung des Deutschunterrichts abgeschafft hat. Paradoxerweise hat dieser Unterricht den Polen mehr genützt als der einheimischen Bevölkerung, da die im Großteil ihre Muttersprache weitgehend aus dem Elternhaus kennt.‍

- Die Minderheit verliert von Wahl zu Wahl ihre Wählerschaft. Immer weniger Einheimische wählen die Kandidaten der deutschen Minderheit. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Ganz einfach. Die Autochthonen fühlen sich nicht zu 100 % als Deutsche. Die Region Oppeln ist ein Ort der kulturellen Vermischung, wo es schwierig ist, Menschen mit einer sehr starken deutschen Identität zu finden.

Die Menschen, die sich wirklich als Deutsche fühlten, die eine besonders starke Verbindung zu dieser Nationalität hatten, sterben aus. Ein großer Teil der echten Deutschen hat Schlesien schon vor langer Zeit verlassen. Die Autochthonen sind "Menschen von hier", und sie müssen aufhören, sich eine Identität einreden zu lassen, die sie nicht haben und größtenteils auch nicht wollen. 

Ähnlich ist die Situation mit der polnischen Bevölkerung in den Grenzgebieten. In der Ukraine gibt es nur noch relativ wenige Menschen, die ihr Polentum betonen. Die meisten sind sich natürlich ihrer polnischen Wurzeln bewusst, aber so wie in unserer Region Oppeln gibt es dort sehr viele Mischehen, aus denen Kinder hervorgehen, die emotional immer stärker mit dem ukrainischen Staat verbunden sind. Mit der Zeit wird das Gefühl der "fremden" Nationalität - ob bei uns oder in der Ukraine - schwächer. Aber das kulturelle Bewusstsein, die Erinnerung an die Vorfahren, darf nicht parallel dazu verschwinden. Und das sollte die Aufgabe sowohl der lokalen als auch der nationalen Politiker sein - sich um dieses Bewusstsein und die Erinnerung zu kümmern, und nicht um ihre eigenen Partikularinteressen. Sich um den Staat zu kümmern und dabei die Kultur, die Identität und die Freiheit jedes Bürgers zu respektieren.

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