Der Außenminister der Republik Polen hat Prof. Ruchniewicz zum Bevollmächtigten für die deutsch-polnische Zusammenarbeit im Sozial- und Grenzbereich ernannt. Prof. Ruchniewicz ist ein angesehener Experte für die deutsche Geschichte und die deutsch-polnischen Beziehungen. Er setzt sich für die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der polnischen Gemeinschaft in Deutschland und der deutschen Minderheit in Polen ein. Davon würden alle profitieren.
Herr Professor, in den letzten acht Jahren waren die deutsch-polnischen politischen Beziehungen nicht allzu sehr gut. Man hat aber den Eindruck, dass dies die direkten, zwischenmenschlichen Beziehungen nicht beeinträchtigt hat. War das wirklich der Fall?
Die Beziehung zwischen den Regierungen gehörte nicht zu der beste, zum Nachteil beider Länder. Die deutsch-polnische Nachbarschaft, ihre Leistungen sowie auch ihre Probleme, wurden der Innenpolitik der polnischen Regierung untergeordnet. Die tragische Vergangenheit wurde zu oft zu einem nützlichen politischen Treibstoff reduziert, als ob die beiden Gesellschaften nicht zuvor viel Arbeit geleistet hätten um von der Geschichte mit all ihren dramatischen Kapiteln auszugehen, sondern um eine neue Basis für Kommunikation und Zusammenarbeit zu schaffen.
Wir sollten auch darüber nachdenken, warum es so leicht war, verschiedene antideutsche Vorurteile und Stereotypen zu reaktivieren, warum das Erbe der jahrzehntelangen deutsch-polnischen Zusammenarbeit, das Lebenswerk so vieler Menschen aus Polen und Deutschland, die sich aktiv und Eigenwillig für die gegenseitige Nahe und Verständigung eingesetzt haben, so schlecht verteidigt wurde. Denn selbst wenn man einige Schwächen oder Lücken in Betracht zieht, war dies etwas äußerst Positives und Einmaliges in der Geschichte unserer Beziehungen in den letzten Jahrhunderten.
Natürlich wurde und wird zu Recht die Frage nach dem fehlenden Wissen der Deutschen über die Polnische Besatzung gestellt. Meines Erachtens, erreichen wir mehr in Kooperation als im Konflikt, der nur dazu führt, dass wir uns die Argumente und Forderungen der anderen Seite überhaupt nicht anhören. Ich glaube, dass wir gemeinsam daran arbeiten sollten, ein deutsch-polnisches Geschichtslehrbuch so gut wie möglich zu fördern.
Wir schienen über alle Formate und Kommunikationskanäle zu verfügen (die nach 1989 aufgebaut wurden), um - selbst bei heftigen Meinungsunterschieden, was bei verschiedenen Interessen nicht außergewöhnlich ist - dies, ohne Verbitterung oder Feindseligkeit zu tun. Wir können nicht alles den Populisten zuschieben sondern sollten auch darüber nachdenken, warum Demokraten, demokratische Institutionen, ein Problem damit haben, sich dem negativen, verfälschten Narrativen zu widersetzen, das als die einzig wahre patriotische Stimme dargestellt wird.
Gleichzeitig wurde ich gerne betonen, dass sich die Vernetzung, die Zusammenarbeit, das gegenseitige Kennenlernen und das Tun von positiven Dingen auf vielen Ebenen weiterentwickelt hat. Die gut etablierten, direkten Beziehungen haben jedoch in dieser Zeit zum Glück keine größeren Schaden erlitten.
Zur Zeiten der früheren Regierungen gab es keinen Regierungsbeauftragten der für die Zusammenarbeit mit Deutschland verantwortlich war. Was ist Ihre Aufgabe und wie verstehen Sie Ihre Rolle?
Meine Aufgaben sind sozialer Natur. Ich werde mich bemühen, den deutsch-polnischen Dialog, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen und den lokalen Regierungen zu unterstützen. Ich sehe meine Rolle auch als Beobachter, der die Geschehnisse studiert, um eine Lobby für die Initiativen zu schaffen, die für unsere Nachbarschaft wichtig sind.
Ein Großteil der Vorurteile in den deutsch-polnischen Beziehungen stammt aus falschen Interpretationen der historischen Ereignisse. Ich hoffe daher, dass ich als Historiker viele Missverständnisse aufklären und zum Nachdenken von beiden Seiten anregen kann. Ich möchte so viele konfliktbereitende Bereiche und negative Emotionen wie möglich eliminieren. Mit Politik werde ich mich nicht beschäftigen.
Die deutsche Minderheit in Polen und die polnische Gemeinschaft in Deutschland haben den Anspruch, eine Brücke zwischen den beiden Ländern zu bilden. Können sie diese Rolle erfüllen? Wie könnte eine solche Brückenfunktion aussehen?
Vor allem sollten sie sich darum kümmern, ein positives Bild ihres Nachbarlandes zu schaffen und Neugier auf das Land zu wecken, den Wunsch, es direkt kennen zu lernen zu entwickeln. Sie sollen die Kultur des Staates zeigen, Kontakte und touristische Reisen anregen. Wichtig ist auch, dass sich die von diesen Kreisen durchgeführten Initiativen und Projekte auch an die Mehrheit richten, in der sie leben. Es wäre fatal für diese Gemeinschaften, sich in isolierten Kreisen zu verschließen.
Für beide Gemeinschaften ist die Frage der Sprache wichtig. Sie hat mehr als nur die kulturelle Dimension, an die wir meistens denken. Deutschland ist Polens wichtigster Wirtschaftspartner. Natürlich kann man sich in Berlin mit vielen Menschen auf Englisch verständigen. Aber alle geschäftliche Kontakte sind immer vertrauensvoller, wenn sie in der Sprache des Partners stattfinden.
Es gibt viele deutsche Unternehmen in Polen, die Mitarbeiter mit deutschen Sprachkenntnissen brauchen. Diese Sprachkompetenzen sind generell wichtig für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Beide Gemeinschaften sollten daher das Erlernen der Nachbarsprache fördern, indem sie einen organisatorischen Rahmen und eine günstige Atmosphäre dafür schaffen.
Wichtig erscheint auch die Präsenz beider Gemeinschaften in den Selbstverwaltungsstrukturen des jeweiligen Aufenthaltslandes. In Berlin sind die Polen bereits in den Bezirksparlamenten vertreten. In diesem Bereich kann die deutsche Minderheit in Polen weitaus größere Erfolge vorweisen. Immerhin verwaltet sie die Woiwodschaft Oppeln und viele Gemeinden aktiv mit. Die Vertreter beider Volksgruppen in den lokalen Verwaltungsstrukturen sind natürliche Lobbyisten für gute deutsch-polnische Beziehungen.
Insgesamt ist viel erreicht worden, aber es gibt noch viel zu tun.
Vor nicht allzu langer Zeit wurden die beiden Gesellschaften gegenübergestellt und Gedanken über ihre symmetrische Behandlung wurden entwickelt. Kann man hier von einem Antagonismus zwischen ihnen sprechen?
Es war inakzeptabel, dass die politische Elite, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen versuchten.
Andererseits gibt es durchaus gegenseitige Vorurteile, die aus einer ganz anderen Zeit stammen. Man kann sich kaum wundern. Die polnische Gemeinschaft vertretet Menschen mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen und mit ganz anderen Familiengeschichten. Darunter sind auch Menschen, die sich an die deutsch-polnischen Spannungen der Nachkriegszeit erinnern können. Aber die neuen Auswanderungswellen kommen mit ganz anderen Erwartungen oder Träumen nach Deutschland.
Ähnliche Prozesse vollziehen sich auch in der deutschen Minderheit. Auch dort lassen sich junge Menschen nicht mehr dazu instrumentalisieren, ihre Identität auf der Basis der Abneigung gegen die polnischen Nachbarn aufzubauen.
Jedenfalls sehe ich keinen besonderen Streit Aufreger zwischen diesen Gemeinschaften.
Aber zu einer effektiven Zusammenarbeit zwischen diesen Gemeinschaften ist es nicht gekommen.
Das ist eine Frage der Zeit. Was sie zweifelsohne gemeinsam haben, ist eine positive Einstellung zu Deutschland und Polen. Sie haben ähnliche, zum Teil widersprüchliche Identitäten, in der sich die beiden nationalen Elemente auf unterschiedliche Weise vermischen.
Und wenn sich Deutsche aus Polen in Deutschland niederlassen und sich mit polnischen Organisationen zusammenschließen, sollte dies nicht als Verrat, sondern als eine Art Fortsetzung der Arbeit an positiven deutsch-polnischen Beziehungen gesehen werden. Und beide Seiten sollten solche Haltungen unterstützen. Beide Gemeinschaften sollten sich nicht als Konkurrenten betrachten, sondern als Partner, die gemeinsame Ziele verfolgen.
Man könnte den Eindruck haben, dass die Eliten der Organisationen einer solchen intensiven Zusammenarbeit im Wege stehen. Sie versuchen, dieses Umfeld für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren.
Vor allem aber wehren nicht alle Verantwortlichen einer solchen Zusammenarbeit dagegen. Und das tun diejenigen, die in anachronistischen Überzeugungen verhaftet sind.
Die von beiden Kreisen vorgeschlagenen weltpolitischen Modelle sind für die Jugend von heute nicht attraktiv. Nationale Sehnsüchten nach Szenarien aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts können viele nicht nachvollziehen. Sie verstehen und manifestieren ihre Identität anders. Der jungen Generation muss ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt, genauso wie berufliche und soziale Chancen angeboten werden. Wir müssen sie bei der Anpassung an den Arbeitsmarkt unterstützen. Beide Seiten müssen auf den kulturellen Wandel reagieren, damit die Organisationen nicht vergreisen.
Das Gleiche gilt für das Erlernen von Sprachen. Hier stellt sich die Frage, welche Elemente hinzugefügt werden müssen, um es attraktiv zu machen. Die Probleme der beiden Gemeinschaften scheinen sich sehr zu ähneln.
Eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Gruppen würde die finanziellen Ressourcen beider Gemeinschaften erhöhen. Sie würde ihre Glaubwürdigkeit in den Augen sowohl der polnischen als auch der deutschen Behörden stärken.
In der polnischen Gesellschaft in Deutschland herrscht eine seltsame Spaltung . Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, rechtsnationale Tendenzen zu haben. Sehen Sie eine Chance, dass sich diese Kräfte zusammenfinden?
In der Tat ist die Trennung der polnischen Gemeinschaft ein Problem. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht dazu äußern, ich kenne die Ursachen und das Ausmaß nicht. Die letzte Sitzung des Komitees für die Verbindung mit den Polen im Ausland im Sejm hat zwar die Differenzen dieser Gruppe gezeigt, aber es zeigte auch den Willen zu einer Zusammenarbeit und Überwindung von Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit der verschiedenen polnischen Organisationen, das Einbeziehen der weniger formellen Gruppen halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben. Der Streit schadet nämlich allen.
Hinter den Vertriebenenorganisationen standen früher Millionen von deutschen Wählern. Viele von ihnen forderten offen eine Revision der Grenzen. Sie übten einen starken Druck auf die Politiker der führenden politischen Parteien aus.
Im Laufe der Zeit schrumpfte die erste Generation von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Ihre Kinder integrierten sich vollständig in die neue Realität der Bundesrepublik Deutschland. Die Forderung nach einer Grenzänderung bedeutete eine Marginalisierung zu einem Zeitpunkt zu dem die Behörden beider Länder beschlossen haben, gutnachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen. Heute ist es, glaube ich, schwierig, über die politische Bedeutung solcher Organisationen zu sprechen.
Aber wenn wir über die deutschen Vertriebenen sprechen, sollte man sich daran erinnern, dass diese Kreise am meisten an Polen interessiert waren. In den Jahren des Durchbruchs haben viele von ihnen, die die Hilfe für Schlesien organisiert haben und haben für diese Beziehungen viel Gutes getan.
Die Organisationen der Aussiedler hinterließen wichtige Institutionen. Auch sie haben in den letzten Jahrzehnten stark evolviert . Das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen kann als Beispiel dienen. Seine Leitung versucht, den in Deutschland lebenden Schlesiern, aus späteren Auswanderungswellen, einen Halt zu geben und ihnen bei der Suche nach deren eigenen Identität zu helfen. Sie pflegen die Erinnerung an Schlesien. Sie bemühen sich um die Zusammenarbeit mit polnischen Einrichtungen und versuchen, ein Vermittler über das zu sein, was heute in diesem Land geschieht. Eine ähnliche Rolle spielt das Schlesische Museum (Haus Schlesien) in Königswinter. Die neue Dauerausstellung in diesem Museum ist ein sehr gutes Beispiel für eine Art Verbindung der ehemaligen und aktuellen Bewohner Schlesiens. Ein wichtiges Beispiel für die kulturelle Zusammenarbeit ist zweifelsohne das Schlesische Museum in Görlitz, das direkt an der deutsch-polnischen Grenze liegt.
Diese Einrichtungen suchen nach einer neuen Rolle für sich im deutsch-polnischen Dialog. Ich glaube, dass wir von ihnen in der Zukunft viele interessante Initiativen und Publikationen erwarten können.
Und was wird in diesen bilateralen deutsch-polnischen Beziehungen für Sie als Bevollmächtigter am wichtigsten sein?
Die Forderung, des gegenseitigen Vertrauen und die polnisch-deutsche Freundschaft aufzubauen, ist mehr als nur eine offensichtliche moralische oder zivilisatorische Forderung. Sowohl Polen als auch Deutschland stehen vor großen Herausforderungen. In der nahen Zukunft wird es notwendig sein, ein wirksames Verteidigungs- und Sicherheitssystem gegen die im Osten entstehende Bedrohungen zu schaffen. Gleichzeitig werden die Prozesse der weiteren europäischen Integration eine Herausforderung sein, die wahrscheinlich nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen werden. Auch das Problem der Migration in die EU wird nicht verschwinden, sondern sich verschärfen.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist ein weitreichendes gegenseitiges Vertrauen erforderlich. Ohne die aktive Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger wird der Integrationsprozess stark verlangsamt oder gestoppt. Deshalb sollten wir unsere Anstrengungen auf diese Aufgabe konzentrieren. Sowohl die polnische Gemeinschaft, als auch die deutsche Minderheit können dabei eine wichtige Rolle spielen.
Das Interview mit Prof. Krzysztof Ruchniewicz wurde von Sebastian Fikus durchgeführt.