29.3.2023
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Ich bin ein Pessimist

Józef Swaczyna, Landrat von Stehlitz, im Gespräch mit Spectrum.direct

Der Landrat von Stehlitz, Józef Swaczyna, hat sich von Anfang an für die deutsche Minderheit engagiert. Vor kurzem erhielt er das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Auszeichnung wurde ihm von Martin Kremer, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Breslau, überreicht. In einem Interview äußerte sich der Landrat pessimistisch über die Aussichten der deutschen Minderheitenorganisation.

Józef Swaczyna

[Anna Stawiarska] Als die Organisation der deutschen Minderheit 1989 gegründet wurde, forderten ihre Führer vor allem die flächendeckende Einführung des Deutschunterrichts. In diesen 30 Jahren wurde jedoch in Oberschlesien keine deutschsprachige Mittelschule eingerichtet. Warum eigentlich?

[Józef Swaczyna] Nach der Registrierung der Soziokulturellen Vereinigung der Deutschen in Oppeln Schlesien (TSKN) herrschte in unserer Gemeinschaft große Begeisterung. Die Organisation wurde in den ersten Jahren von Menschen dominiert, die in den dreißiger und vierziger Jahren geboren wurden. Sie waren entschlossen und wussten, was sie wollten.

Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen und Empfindungen glaubten sie, dass plötzlich alle Kinder spontan Deutsch lernen wollen würden. Es schien uns, dass sich die Probleme von selbst lösen würden. Viele Eltern waren jedoch skeptisch. Sie befürchteten, dass das zusätzliche intensive Erlernen der deutschen Sprache in der Schule auf Kosten der Noten in anderen Fächern gehen würde.

Schuld daran war aber auch die TSKN, die in den 1990er Jahren an der Entwicklung verschiedener Strategien und Pläne beteiligt war, von denen letztlich nichts verwirklicht wurde. Vielleicht fehlte uns der starke Wille, die Einrichtung einer Sekundarschule zu verwirklichen. Obwohl es bereits Pläne für den Standort einer solchen Einrichtung gab. Es gab keine entschlossene Bewegung von TSKN Mitgliedern, die sich dafür einsetzen konnte.

Letztlich erwies sich das Bildungsangebot für Kinder der deutschen Volksgruppe damals als unzureichend. Heute ist eher das Gegenteil der Fall. Die TSKN schafft zahlreiche Möglichkeiten zum Erlernen der Sprache und ergreift viele Initiativen, um den Deutschunterricht attraktiver zu machen. Paradoxerweise ist das Interesse an diesen Projekten eher gering. Und es ist für uns schwer zu verstehen, warum das so ist.

[Anna Stawiarska] Eine weitere große Forderung der organisierten deutschen Minderheit war es, die Abwanderung der Schlesier in die Bundesrepublik zu verhindern. War das erfolgreich?

[Józef Swaczyna] Ich sagte. Wir haben die Kinder von damals nicht für die Sache gewonnen, und jetzt fehlt diese Generation in unseren Reihen sehr stark. Schlimmer noch, paradoxerweise sind es gerade diejenigen, die damals die Sprache nicht lernen wollten, die heute am ehesten nach Deutschland einwandern. Das Gefühl, dass der materielle Lebensstandard wichtiger ist als die Loyalität zum Heimatland, ist immer noch vorherrschend.

TSKN-Aktivisten haben sich in den 1990er Jahren der Illusion hingegeben, dass die Schlesier nach Deutschland gehen würden, um Geld für Investitionen in der Heimat zu verdienen und dann zurückzukehren. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. In vielen Fällen endeten die vorübergehenden Arbeitsaufenthalte mit der Abreise ganzer Familien.

[Anna Stawiarska] Inwieweit hat sich die Situation der deutschen Minderheit in den letzten 30 Jahren verändert? Was ist Ihrer Meinung nach heute das Wichtigste für diese Gemeinschaft?

[Józef Swaczyna] In den Anfangsjahren der TSKN waren ihre Außenstrukturen, die DFK-Kreise, sehr zahlreich. Vielleicht war es ein Fehler, dass die Menschen bei ihrer Gründung glaubten, sie könnten von der Organisation profitieren, wenn sie ihr beiträten.

Als der Enthusiasmus der breiteren deutschen Minderheitengemeinschaft nachließ, mussten sich die Vorsitzenden der DFK-Kreise stärker engagieren und härter arbeiten, um die vom TSKN organisierten Initiativen attraktiv zu halten. Ich habe in letzter Zeit an Berichtssitzungen teilgenommen und bezweifle, dass die Leiter der DFK-Kreise oder Gemeindevorstände so fleißig und entschlossen sind wie die ersten, die diese Strukturen geschaffen haben. Wenn ich eine Sitzung eines DFK-Kreises mit fast 300 Mitgliedern sehe und 60 kommen, frage ich mich immer, wo die anderen sind.

Aber das liegt wohl auch daran, dass das Umfeld immer weniger Interesse hat, sich an TSKN Aktivitäten zu beteiligen. Das gilt vor allem für die jüngere Generation, die sich kaum noch in unsere Strukturen einbringt. Angesichts all dessen wage ich sogar zu behaupten, dass das Agieren unter dem Banner einer Minderheit unpopulär ist. Und natürlich schadet uns auch die Verleumdung durch polnische Rechtspolitiker.

Um also Ihre Frage zu beantworten. Die wichtigste Aufgabe für TSKN wäre es heute, eine Gruppe von engagierten Führungspersönlichkeiten zu schaffen, die die Kraft haben, andere Menschen zum Handeln zu inspirieren und die Gemeinschaft zu vereinen.

[Anna Stawiarska] Würden Sie zustimmen, dass das wichtigste Thema für die Vertreter dieser Gemeinschaft die Identitätsfrage ist?

[Józef Swaczyna] Die ältesten Mitglieder der TSKN hatten keine Zweifel daran, wer sie waren. Sie waren sich einfach ihres Deutschseins sicher. Mit der Zeit wurde diese Überzeugung bei der Mehrheit immer wackeliger.

Vielleicht sahen unsere Großeltern ihre deutsche Identität als selbstverständlich und unanfechtbar an. Und deshalb haben sie sich wohl auch keine besondere Mühe gegeben, ihre Enkel von ihrem deutschen kulturellen Hintergrund zu überzeugen. Oft haben sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Deutschkenntnisse an die jüngere Generation weiterzugeben. Und diese familiären Kontinuitäten scheinen mir die wichtigsten zu sein.

Auch der Druck der polnischen Umgebung war ein Problem. Es gehört bis heute viel Mut dazu, sich in der Öffentlichkeit zu seinem Deutschsein zu bekennen. Vielleicht ist das der Grund, warum die meisten jungen Menschen in unserem Umfeld kosmopolitische Sehnsüchte haben und sich als Europäer betrachten. Wir müssen mutig und unumwunden über unsere nationale Identifikation sprechen. Wenn wir diese Überzeugung nicht in unseren Herzen tragen, werden sich die nächsten Generationen sicher nicht mehr zu einer deutschen Identität bekennen.

[Anna Stawiarska] Die meisten Angehörigen der deutschen Minderheit sprechen im Alltag schlesisch. Wäre es bei der Suche nach einer neuen Identität für die deutsche Minderheit nicht angebracht, sich gerade auf die regionalen schlesischen Traditionen und auf die Besonderheiten dieses Landes zu beziehen?

[Józef Swaczyna] In diesem Land leben ein polnischer Schlesier und ein deutscher Schlesier, aber es gibt auch einen dritten, der sich nur als Schlesier fühlt. Auch wenn die Menschen schlesisch sprechen, haben sie eine deutsche Identität. Dieser Schlesier fühlt sich deutsch. Ich negiere das Schlesische nicht, weil ich niemandem seine Identität nehmen will, das heißt, wenn jemand sagt, er sei ein Schlesier, dann ist er auch einer. Wir werden sehen, wie die Ergebnisse der Volkszählung ausfallen werden. Das Gefühl für die deutsche Identität wird sich in den nächsten Jahren entwickeln, hier bin ich leider pessimistisch.

[Anna Stawiarska] In der Diskussion um die Identität der deutschen Minderheit löst die Kategorie der Autochthonen viele Emotionen und Kontroversen aus. Unter Autochthonen versteht man in Polen lebende Personengruppen, die von der Verfassung der Bundesrepublik als Deutsche angesehen werden. Inwieweit ist der Begriff Autochthone heute noch sinnvoll?

[Józef Swaczyna] Es ist gut, dass die Deutschen ihn noch pflegen. Sie erlauben uns, binational zu sein. Ich würde ihn nicht antasten. Es soll so bleiben, wie es ist.

[Anna Stawiarska] Kommen wir zurück zu Ihren persönlichen Gefühlen. Welche Wünsche haben Sie für die deutschen Minderheitenorganisationen?

[Józef Swaczyna] Diejenigen, die an der Macht sind, müssen sich daran erinnern, wen sie vertreten. Vor allem sollten sie wissen, dass andere Menschen auf sie warten. Sie sollten sich daran erinnern, wozu sie sich verpflichtet haben. Eines weiß ich: Man muss mit den Menschen reden. Es ist paradox, dass wir, die wir bei Wahlen in der Gemeinde aktiv sind, einem Mann unsere Stimme geben, den wir nicht kennen und der oft schädlich für Minderheiten ist. Für mich ist das traurig.

Hoffen wir, dass es uns nicht so ergeht wie der großen Fichte, bei der die Zapfen ganz oben schön grün sind, aber unten trocknet die Fichte aus und die Äste sinken herunter.

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