4.6.2021
No items found.

Menschen ins Gespräch gebracht

Die bekannte WDR-Redakteurin Gudrun Schmidt arbeitet mit Spectrum.direct

Die aus Glatz stammende Journalistin Gudrun Schmidt ist im Ruhestand. Mehr als 30 Jahre war sie beim größten europäischen Regionalsender, dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln tätig. Sie betreute dort, unter anderem, eine beliebte und vielgehörte Sendung mit dem Titel „Alte und neue Heimat“. In den 1990er Jahren lud sie Journalisten der damaligen Medienproduktionsgesellschaft "Pro Futura" ein, mit ihr zu arbeiten. Heute unterstützt sie Spectrum.direct, was sie als eine natürliche Folge der damals geknüpften Kontakte sieht.

Gudrun Schmidt
Archwium: Gudrun Schmidt

Die aus Glatz stammende Journalistin Gudrun Schmidt ist im Ruhestand. Mehr als 30 Jahre war sie beim größten europäischen Regionalsender, dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln tätig. Sie betreute dort, unter anderem, eine beliebte und vielgehörte Sendung mit dem Titel „Alte und neue Heimat“. In den 1990er Jahren lud sie Journalisten der damaligen Medienproduktionsgesellschaft "Pro Futura" ein, mit ihr zu arbeiten. Heute unterstützt sie Spectrum.direct, was sie als eine natürliche Folge der damals geknüpften Kontakte sieht.


In den 1990er Jahren gestalteten Sie die Sendung "Alte und Neue Heimat" beim Westdeutschen Rundfunk in Köln. Damals haben Sie Journalisten der Medienproduktionsgesellschaft "Pro Futura" in Oppeln eingeladen, für Sie zu arbeiten. Wie kam es dazu?

Zu der Zusammenarbeit kam es durch Dr. Renata Schumann, einer bekannten Schriftstellerin und Publizistin, die sich mit schlesischen Themen beschäftigte und in Nordrhein-Westfalen lebte. Da ich für meine Sendung aktuelle Beiträge aus Schlesien gebrauchen konnte, fragte ich sie, ob sie jemanden in Polen kennt, mit dem ich zusammenarbeiten könnte. Sie machte mich auf die gerade entstehende „Pro Futura“ Redaktion aufmerksam, die damals die "Schlesien Journal"-Sendungen für TVP produzierte. Die Redaktion wurde von Sebastian Fikus geleitet. Seine Mitarbeiter waren gute Fernsehjournalisten, die ich zur Mitarbeit in meiner WDR-Sendung gewinnen konnte, und die schnell in die Radio-Arbeit hineinfanden. Sie bereicherten unsere Sendung mit aktuellen, lebhaften Reportagen. Später gründeten diese Journalisten ihr eigenes Radiomagazin, "Schlesien Aktuell", das viele Jahre lang im öffentlichen Radio Opole gesendet wurde. Fast möchte man sagen, dieses Magazin war so etwas wie eine Art Kopie meiner Sendung "Alte und neue Heimat" in Köln.


Berichten Sie einmal über ihren Weg zum Journalismus...


Eigentlich hatte ich immer den Traum, Journalistin zu werden. Nach dem Schulabschluss landete ich beim Westfalen-Blatt in Bielefeld, allerdings als Lehrling für den Beruf der Verlagskauffrau. Nebenbei jedoch habe ich angefangen, für meine Zeitung kleine Reportagen zu schreiben - über das Leben in dem 8000-Einwohner-Dorf Jöllenbeck, in dem ich mit meiner Mutter und den Großeltern nach der Vertreibung aus Schlesien wohnte. Da war der Milchmann, der mit Pferd und Wagen die Milch zu den Menschen brachte. Da gab es das verwaiste Reh, das von einem Bauern aufgezogen wurde. Da war die Kirche, die neue Fenster bekam. Ich schrieb eigentlich über alles und alle in Jöllenbeck. Über jeden Stein. Die Reportagen wurde von meiner Zeitung auch gedruckt und das kleine Jöllenbeck - durch mich „berühmt“. Die Lehre als Verlagskauffrau habe ich mit Abschluss vorzeitig beendet. Mir hing die Buchhaltung zum Halse heraus. Das war nicht meins. Ich wollte in die Redaktion. Als ich mich beim Chefredakteur vorstellte, meinte er: „Ach, Sie sind das!“, zog einen Brief aus seiner Aktenmappe und sagte: „Hier schreibt der Künstler, der die Kirchenfenster in Jöllenbeck angefertigt hat, dass noch nie jemand so nett über seine Kunst berichtet habe. So wurde ich sofort als Volontärin angenommen. Mit 23 Jahren war ich gar Lokalchefin des Westfalen-Blattes in Gütersloh. Zwei Jahre später rief man mich zurück in die Zentrale, Ressort Vermischtes - und schließlich in die Politik-Redaktion.


Wie ging es dann vom Westfalen-Blatt zum WDR?


In den 1960er Jahren war ich zweimal für längere Zeit in Amerika. 1969 kündigte ich beim Westfalen-Blatt, wollte danach als Redakteurin beim „Dienst mittlerer Tageszeitungen“ (DIMITAG) in Bonn anfangen. Doch da rief mich das WDR-Studio Bielefeld zu sich. Ich sollte ein Interview machen von der Bademodenschau in Bad Salzuflen. Ich hatte keine Ahnung vom Umgang mit einem Tonbandgerät. Also wies man mich in die Bedienung einer schweren Nagra ein, und ich zog los zu der Schau. Eine meiner Fragen war, ob es auch Bikinis aus Pelz gebe. Die Reportage wurde in der Sendung „Westfalen-Echo“ gebracht. Sie war wohl akzeptabel, und die Kollegen meinten, ich sollte weitermachen...


Wie ging es dann beim Rundfunk weiter, wie kamen Sie zur Sendung „Alte und Neue Heimat?“


Ich war – zunächst freiberuflich - unermüdlich journalistisch tätig: für die Sendungen „Westfalen-Echo“, „Zwischen Rhein und Weser“, „Quintessenz“, für das „Morgen- und das „Mittagsmagazin“. Meine Themen waren aus dem Leben gegriffen. Auch Franz Kusch, damals Chef der Sendung „Alte und Neue Heimat“, bat mich um Mitarbeit. Mein erster Beitrag für ihn war eine Reportage, die sich um Heimatvertriebene in Paderborn drehte. 1976 kam das Angebot, ins Studio Dortmund zu wechseln, was ich gern annahm. Eine Anfrage, die Leitung des Hörfunk-Studios Münster zu übernehmen, lehnte ich ab. Ich wollte lieber weiter journalistisch arbeiten. 1986 rief mich der Leiter der Abteilung „Kommentare und Feature“, Ludwig Dohmen, nach Köln. Franz Kusch, der zu dieser Programmgruppe gehörte und die Sendung „Alte und neue Heimat“ betreute, starb 1991 kurz vor der Pensionierung. So landete die Sendung bei mir.


Was dachten Sie über dieses neue Arbeitsfeld?


Na ja, die Thematik war mir nicht fremd. Ich bin in Westfalen groß geworden und habe dabei gar nicht an die schlesische Heimat gedacht. Aber schließlich ist man doch durch seine Herkunft geprägt.


Wie würden Sie speziell die Schlesier in ihrer Mentalität beschreiben?


Ich sage immer: Die Schlesier sind gemütlich, sie sind gutmütig und setzen voraus, dass der andere es auch gut meint. Die schlesische Weise zu denken unterscheidet sich von den Westfalen oder den Rheinländern. Schlesier „ticken anders“. Deshalb kam ich zum Beispiel auch mit Kardinal Joachim Meisner gut aus. Weil ich – wie er - aus Schlesien bin, hat er mir wohl seine Autobiografie zu schreiben anvertraut – und dies, obwohl ich evangelisch getauft und Konvertitin bin.


Wie groß war die Redaktion der „Alten und Neuen Heimat?


Als Redakteurin war ich alleine verantwortlich. Aber ich hatte natürlich einige freie Mitarbeiter. Von meinen rund 33 Jahren beim WDR habe ich zehn Jahre lang die „Alte und neue Heimat“ betreut, bis ich 2002 in den Ruhestand ging.


Welche Themen hatten Sie besonders im Blick?


Im Zentrum meiner Arbeit standen Reportagen und Berichte über Flüchtlings- und Vertriebenenschicksale, die nach Russland Deportierten, die wegen ihrer deutschen Wurzeln gequälten und verfolgten, kurzum: Menschen, die sonst nicht zu Wort kamen, sollten erzählen und gehört werden. Das hat sogar dazu geführt, dass viele Hörerinnen und Hörer die Sendung gewissermaßen als ihre Heimat betrachteten.


Viele haben Vertriebenenarbeit und Vertriebenenpolitik ja auch mit „Revanchismus“ gleichgesetzt. Fühlten Sie sich in Ihrer Arbeit im WDR zuweilen kritisch beäugt oder ideologisch verdächtigt?


Im Grunde habe ich aus journalistischer Sicht alles das zum Thema gemacht, was berichtenswert war, ohne mich dabei zu verbiegen. Wichtig und entscheidend schien mir, dass unsere Beiträge authentisch, klar und eindeutig sind. Man hat mir niemals etwas vorwerfen können.


Beschreiben Sie einmal die verschiedenen Themen der Sendungen...


Unsere Arbeit war vornehmlich ein Stück Kulturpflege. Was zur deutschen Kultur und Geschichte der ehemaligen deutschen Ostgebiete und der deutschen Siedlungsgebiete im Osten und Südosten Europas gehört, sollte nicht aus der Erinnerung gelöscht und verloren gehen. Wir haben zum Beispiel die verschiedenen Mundarten vorgestellt, über Literaten und ihre Literatur berichtet, alte Bräuche aus der Versenkung geholt. Weihnachten haben wir jedes Jahr – zur Begeisterung der Hörer – die Christkindlmesse von Ignatz Reimann gesendet. Und es ging natürlich auch darum, die Menschen immer wieder über das Schicksal des Heimatverlustes sprechen zu lassen. Ich bekam viel Post. In einem Brief stand: „Wir haben nur den einen Wunsch: bis an unser Lebensende die Sendung "Alte und neue Heimat" zu hören.“ Viele waren dankbar, ihr Lebensschicksal gewürdigt zu wissen. Diese Themen fanden ja in den Medien jener Zeit sonst kaum statt.


Gab es besondere Begegnungen, an die Sie sich erinnern?


In Ostpreußen, im ermländischen Alleinstein, traf ich Frauen, die als junge Mädchen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert worden waren. Die wenigen Überlebenden waren oft erst nach Jahren harter Arbeit in Bergwerken und auf Feldern, meist schwerkrank, freigekommen. Und von den Entlassenen waren inzwischen ebenfalls die meisten an den Folgen der Zwangsarbeit gestorben. Die kleine Gruppe, die noch übriggeblieben war, hatte nie eine Entschädigung bekommen. Niemand habe sich für Ihr Schicksal interessiert. Die Polen sagten: „Wir sind nicht zuständig, denn ihr seid Deutsche.“ Die Deutschen sagten: „Wir sind nicht zuständig, weil ihr ja in Polen lebt.“ Nach der Veröffentlichung dieser zu Herzen gehenden Geschichten kamen viele Spenden von Hörerinnen und Hörern ein. Das gespendete Geld reichte, um im Namen der Hörer der Sendung Alte und neue Heimat bei einem weiteren Besuch in Allenstein jeder einzelnen der inzwischen alten und schwerkranken Frauen 600 Dollar zu überreichen. Die Freude dieser großzügigen Gabe war überwältigend. In einer weiteren Reportage konnte ich den Hörern diese Freude und den Dank lebensnah übermitteln. Solche Aktionen haben unserer Sendung viel Anerkennung gebracht.


Was gab es in der Sendung noch?


Wir haben die Hörer zu Erzählwettbewerben aufgerufen, aus denen dann Bücher entstanden. Ein Thema lautete: „Der Mensch, der mir geholfen hat!“ Viele erlebten gerade während der Vertreibung in höchster Not Menschen, die aufopferungsvoll halfen, ja andere trotz eigener Lebensgefahr retteten. Das wusste ich aus eigener Erfahrung. Nach solchen Aufrufen haben wir Berge von Post bekommen. Ein weiterer Schreibwettbewerb drehte sich um „Versöhnung durch Begegnung“, ein anderer um „Meine ersten Jahre im Westen“. Auch befassten wir uns mit dem Thema „Heimat geht durch den Magen“. Da ging es um kleine Geschichten rund um typische Koch-Rezepte aus der Heimat. Der Erfolg war groß.


Was ist denn nun für Sie ganz persönlich die Heimat?


Ich habe keine Heimat im engeren Sinne. Das hängt sicherlich mit der Vertreibung zusammen. Ich kann überall in der Welt leben. Jetzt lebe ich in Köln. Aber es ist für mich keine Heimat. Ich habe immer das Gefühl: Setze dich nicht zu fest, du musst hier ohnehin wieder weg!


Waren Sie noch mal in Glatz?


Einmal bin ich in Glatz gewesen, zusammen mit einer Reisegruppe. Ich habe mich an alles erinnern können, an die Straße und unsere Wohnung, sogar die Zimmer, in denen wir lebten, habe ich wiedererkannt. Aber die Atmosphäre stimmt nicht mehr. Ein Heimatgefühl stellt sich für mich auch dort nicht mehr ein.


Was treibt Sie heute, mit fast 80 Jahren, um?


Ich habe nach meiner WDR-Pensionierung zeitweise im Ausland gelebt, in Argentinien und auch Brasilien, wo ich in einem Krankenhaus mitgeholfen habe. Und dann hatte ich endlich Zeit, mich meiner langgehegten Liebe zur Theologie und Philosophie zu widmen. Zwölf Jahre lang durfte ich Gasthörerin im Studienseminar in Lantershofen bei Bad Neuenahr sein, wo Männer, sogenannte Spätberufene, eine Ausbildung zum Priester machen können. Diese ´Zeit war für mich ein großer spiritueller Gewinn, und ich habe sehr viel gelernt. Zum Dank habe ich über die dortige Ausbildung zum Priester und das Leben in diesem Seminar ein Buch geschrieben.


Haben Sie noch Kontakte nach Schlesien?


Ja, und dies sogar recht intensiv. Ich habe erwähnt, dass ich früher mit der Redaktion von "Pro Futura" zusammengearbeitet habe. Heute betreut Sebastian Fikus ein Portal mit dem Namen Spectrum.Direct. Und ich freue mich, ihm hin und wieder ein wenig zuarbeiten zu können. Sein Bemühen ist es, dieses einst großartige Projekt, das internationale Auszeichnungen erhielt, fortzusetzen und auf einem gleich hohen Niveau zu halten. – Eine gute Sache, zu der ich ihm viel Glück wünsche.


Frau Schmidt, Herzlichen Dank für das Gespräch.


This is some text inside of a div block.
Natalia Klimaschka