Es zeichnet sich eine bizarre Situation. Vieles deutet darauf hin, dass wir in Oberschlesien bald zwei große Minderheiten haben werden - eine deutsche und eine schlesische. Beide benutzen dieselbe Sprache und berufen sich auf die gleichen historischen Traditionen. Sie unterscheiden sich eigentlich nur mit ihren politischen Führern. Der Beschluss des polnischen Sejm die schlesische Sprache anzuerkennen, kann sehr ernste Veränderungen mit sich bringen.
Der Beschluss des Sejm, die Eigenart der schlesischen Sprache zu anerkennen, erlaubt die Hoffnung, dass die schlesische Gemeinschaft als ethnische Minderheit anerkannt werden kann und wird damit eindeutig mit der deutschen Minderheit um Mitglieder konkurrieren.
Beide Gemeinschaften sind in Opposition zum polnischen Nationalismus entstanden. Man könnte sogar die Behauptung wagen, dass ein erheblicher Teil der Minderheitsmitglieder sich gar nicht als Deutsche betrachten. Sie wissen einfach nicht, wie sie ihre kulturellen Besonderheiten sonst nennen sollen. Beide Vereinigungen wurden auf demselben slawischen Fundament gegründet, was seit Jahrhunderten von verschiedenen, mehr oder weniger starken deutschen Einflüssen überlagt wurde. Sie schufen ihr eigenes kulturelles Konglomerat, das für beide Gemeinschaften im Wesentlichen identisch ist.
Dies spiegelt sich auch in der Sprache wider. Die Schlesische Sprache wird durch die deutsche Minderheit als Form der Alltagskommunikation benutzt und gilt als die Sprache des Herzens. Jeder, der hier lebt, weiß das. Die deutsche Sprache ist für diese Gemeinschaft eher repräsentativ und offiziell. Sie ist eine Kompetenz, die in der Schule und nicht im Elternhaus erlernt wird. Aber die Sprache beeinflusste über Jahrhunderte die Entwicklung des kulturelle Lebens der Region. Hunderte jahrelang war sie die Sprache der Verwaltung und der Elite. Deswegen ist auch das Kenntnis der deutschen Sprache ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis eigener Wurzeln. Nicht ohne Bedeutung ist die Tatsache, dass sie auch eine Legitimation für eine bessere berufliche Situation sein kann.
Ein grundlegender Fehler der Eliten der deutschen Minderheit (und zwar seit der Entstehung der Bewegung) war hingegen ihre ablehnende Haltung gegenüber der schlesischen Sprache. Vielleicht lag dies daran, dass diese erste Generation der organisierten deutschen Minderheit das jahrzehntelang verbotene Deutsch genießen wollte.
Die Generation, die in der Vorkriegszeit deutsche Schulen besucht hat, gibt es fast nicht mehr. Ihre Kinder und Enkel hatten oft aus verschiedenen Gründen nicht die Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Und diese Menschen wurden durch die Minderheit als etwas Minderwertiges behandelt und als Mitglieder schlechterer Art klassifiziert. Die Eliten der Organisation betonen bei fast jeder Gelegenheit wie wichtig die deutschen Sprachkenntnisse sind und versuchen, das kulturelle Angebot auf ihr basierend zu gestalten. Viele Autochthone fühlen sich deshalb ausgeschlossen und suchen nach anderen Alternativen.
Das schlesische Umfeld hingegen tappt in eine andere Falle. Was sie eint, ist zweifellos die schlesische Sprache, das Gemeinschaftsgefühl und der fehlende Zwang, sich als Deutscher zu bezeichnen. Zweifellos sind das starke Argumente.
Aber so eine nationale oder ethnische Gemeinschaft muss eine gemeinsame, aber von Anderen separate (!) Vergangenheit haben. Sie wurde doch nicht 1989 aus der Luft geschaffen. Einer der wichtigsten Gründungsmythen dieses Milieus ist die oberschlesische Tragödie. Dieser Begriff umfasst die Repressionen, die nach 1945 über die Autochthonen hereinbrachen. Diese richteten sich jedoch gegen die Deutschen in Schlesien, nicht gegen die schlesischen Gemeinden, von denen damals noch niemand etwas gehört hatte.
Die oberschlesische Tragödie ist zweifelsohne ein deutsches Martyrium, und nicht ein schlesisches. Die Ideologen der schlesischen Organisationen versuchen, die Ereignisse als eigene vorzustellen obwohl sie mit ihr nur wenig zu tun hatten.
Sie eignen sich auch andere Teile der Geschichte der Region an und wiederholen den kommunistischen Unsinn, dass sich in Schlesien deutsche, tschechische und österreichische Einflüsse vermischten. Die Einflüsse waren erst österreichisch und später preußisch, also beides deutsch. Wenn sie auf die Geschichte der Region verweisen, beziehen sie sich auf genau dasselbe Konglomerat von Einflüssen wie die deutsche Minderheit.
Man darf auch nicht vergessen, dass Kinder aus sowohl deutschen und auch schlesischen Häusern genauso wie die von Familien mit Minderheitenhintergrund die gleichen Märchen hörten und mit den gleichen Familienlegenden, Ängsten und Sehnsüchten konfrontiert wurden.
Wenn jemand ein Buch über die regionale Geschichte schreiben wollte, das die Identität der schlesischen Minderheit bewahrt, wäre es wahrscheinlich identisch wie das, das die deutsche Minderheit geschrieben hätte. Der Inhalt würde sich auf dieselben Personen und dieselben Ereignisse beziehen. Manchmal spricht man davon, das in den von der schlesischen Gemeinschaft bewohnten Gebieten doppelte Ortsnamen eingeführt werden sollten. Dabei wird es sich aber wahrscheinlich um historische deutsche Namen handeln, die möglicherweise in schlesischer Umschrift geschrieben werden.
Das wirft die unausweichliche Frage auf, wie will die schlesische Minderheit ihre Identität aufbauen wenn sie sich auf die ideologischen Grundlagen ihrer Quasi-Konkurrenz beruft? Wie soll sie sich von der deutschen Minderheit unterscheiden?
Es besteht eine große Gefahr für die Organisation der deutschen Minderheit.
Bis jetzt war die größte Schwäche der schlesischen Organisationen der Mangel an möglichen Forderungen für ihre Projekte. Wenn schon welche Aktivitäten unternommen wurden, wurden sie entweder aus privaten Mitteln finanziert oder sie mussten so attraktiv sein, dass sie aus kommerziellen Einnahmen oder aus ausländischen Mitteln finanziert werden konnten, die nichts mit dem Schlesientum und Deutschtum zu tun hatten. Diese Situation wird sich nun ändern. Die deutsche Regierung reduziert konsequent die Mittel für die deutsche Minderheit. Wiederrum für die schlesische Minderheit besteht die Aussicht, dass sie erheblicher Gelder vom polnischen Staat erhalten wird. Das heißt, das es gut sein kann, dass die letzten "Potiomkinischen Dörfer" der deutschen Minderheit zusammen mit ihren Projekten auseinanderfallen, während die schlesischen Projekte die einheimische Gemeinschaft vollständig dominieren werden. Wir befinden uns auf einem guten Weg zu einer Situation, in der die schlesische Minderheit die deutsche Minderheit einfach absorbieren wird.
Es gibt noch ein weiteres starkes Argument, das für ein solches Modell spricht. Die deutsche Minderheit hat in den 30 Jahren ihrer Existenz eine konsequente Politik der Verdrängung intellektueller und kreativer Kreise aus ihren Umfeld vertrieben und tut dies auch weiterhin. Es gibt keine großen Persönlichkeiten, die mit der deutschen Minderheit assoziiert werden. Im Falle der schlesischen Kreise ist es genau umgekehrt. Prominente Intellektuelle, Künstler und Professoren stehen hinter ihren Namen. In Kattowitz z.B. ist das Schlesische in akademischen Kreisen oft zu hören, und niemand schämt sich dafür. In Oppeln ist es für Universitätsprofessoren völlig unvorstellbar, laut miteinander Deutsch zu sprechen zwar es gibt ja viele, die autochthone Wurzeln haben.
Um Glaubwürdigkeit zu erlangen, muss die schlesische Minderheit anfangen, ihre deutsche Wurzeln offen anzukennen. Ohne diese wird sie ihre Existenz in den Augen der Autochthonen nicht rechtfertigen können.
Es gibt für die deutsche Minderheit keine andere Möglichkeit, als die schlesische Sprache als ihre zweite (!!) Sprache anzuerkennen. Dabei gibt es ja nichts Böses. Ihre Anerkennung unterhebt in keiner Weise ihren deutschen, eigenständigen Charakter. Sie sollte anfangen, sie als eines der Elemente ihrer Identität zu sehen, wie Ehrlichkeit und Fleiß.
Beide Organisationen sollten verstehen, dass ihre wichtigste Aufgabe darin besteht, die einheimische Gemeinschaft bei ihrer Suche nach einer spezifischen Eigenart und Identität zu unterstützen.
Alle Organisationen sollten das kulturelle Leben der einheimischen Gemeinschaft mitgestalten und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Freizeit gemeinsam zu verbringen. Sie sollen der Gemeinschaft ein Gefühl der Sicherheit und Unterstützung geben. Deswegen sollten beide Seiten aufgefordert werden, intensiv zusammenzuarbeiten und sich nicht länger gegenseitig zu ignorieren.
Sebastian Fikus
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Der Text vom Professor Sebastian Fikus hat mich zum Nachdenken angeregt. Einige seiner Thesen sind äußerst interessant, vielleicht sogar kontrovers, andere bedürfen ein wenig Präzisierung. Als erstes beginne ich mit den Feststellungen, denen ich zustimme. Die Anerkennung der schlesischen Sprache als Regionalsprache und gleichzeitig der Schlesier, als ethnische Minderheit ist ein beispielloses Ereignis und schafft neue Spielregeln im sozialen und politischen Bereich Schlesiens. Ein weiteres Argument über die schwierigen schlesisch-deutschen Beziehungen ist nur auf den ersten Blick kontrovers. Tatsächlich funktionierten die Autochthonen in Oberschlesien, historisch gesehen, in einer privaten, schlesischen Kultur. Im offiziellen Raum war die deutsche Sprache zusammen mit dem gesamten soziokulturellen Imaginarium, das sich aus dieser Situation ergab, einbezogen.
Nach 1989 sah diese ganze Dynamik anders aus. Die deutsche Minderheit wurde nun vom polnischen Staat anerkannt. Die schlesischen Autochthonen, die praktisch parallel im Schlesientum und im Deutschtum lebten, wurden aber vergessen. Der damalige Ausbruch des Deutschtums war historisch und politisch begründet. Das Schlesientum, das im historischen Raum Oberschlesiens seit mehreren hundert Jahren lebte, fand weder eine Organisationsform noch Leitende Persönlichkeiten für sich. Dazu hatten sie auch keine Gründungsmythos.
Dies fing erst um die Wende zum 20. Jahrhundert an, und seitdem findet eine Art Rollentausch statt: Die Bedeutung und Größe der deutschen Minderheit fällt, während die schlesische Volksgruppe an Zahl und Bedeutung zunimmt. Und hier haben wir es mit einer Verflechtung von Politik und Psychologie zu tun.
Einer der Gründe für dieses Phänomen war die nicht gelungene Verwaltungsreform von 1999. Sie verursachte nämlich das die oberschlesischen Gebiete in zwei separate Provinzen aufgeteilt wurden: Schlesien und Oppeln.
Dies geschah in der politischen Interesse der deutschen Minderheit, die bis heute großen Einfluss auf der Ebene der lokalen Verwaltungen besitzt. Sie hat die Woiwodschaft Oppeln seit 2002 ununterbrochen mitregiert und wird dies auch in der gerade begonnenen Wahlperiode 2024 - 2029 weiterhin tun.
Der politische Erfolg hat jedoch nicht in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Elitenbildung beigetragen. Man könnte sogar behaupten, dass das Gegenteil geschah. Die großzügige Subventionen aus der Bundesrepublik Deutschland haben weder in der Woiwodschaft Oppeln noch in der Woiwodschaft Schlesien zur Entwicklung oder gar zum Aufblühen der deutschen Sprache und Kultur beigetragen. Ähnlich war es mit den kulturellen und wissenschaftlichen Eliten.
Die schlesische Organisationen hatten inzwischen Zeit, eigene Eliten herauszukristallisieren. Die Organisationen sprechen über eigene Bedürfnisse und Geschichte. Für sie ist die Verwurzelung in dem Land das wichtigste.
Die Emanzipationsforderungen, die sich auf die schlesische Sprache und Nationalität beziehen, das polnische Dezentralisierungsprogramm, die Rekonstruktion des Gemeinschaftsgedächtnisses und die Wiederbelebung der Geschichte, waren Faktoren, die die Bildung einer schlesischen ethnischen Minderheit zwischen 2001 und 2024 ermöglicht haben. Die nachfolgenden Volkszählungen, beginnend mit der von 2001 (173.000 Erklärungen zur schlesischen Nationalität), 2011 (954.000 Erklärungen dieser Art) und schließlich 2021 (596.000 Erklärungen), veranschaulichten die oben genannten Trends auf mehr als nur eine statistischen Ebene.
Die ständig wachsenden schlesischen politischen und kulturellen Organisationen verursachten eine Art "oberschlesischen Erwachen". Es fingen an, verschiedene Art literarische Werke in schlesischer Sprache zu entstehen, von Romanen über Lyrik bis hin zu Dramen. Es erschienen Übersetzungen herausragender Werke der Weltliteratur in die schlesische Sprache, darunter: Aischylos, Dickens, Lewis Carroll oder Tolkien. Theaterstücke in schlesischer Sprache und über Schlesien wurden im Schlesischen Theater und im Korez-Theater aufgeführt. Es reicht, an die herausragenden Autoren zu erinnern, deren Werke aufgeführt wurden: K. Kutz, H. Eckert, Sz. Twardoch. Dies ist natürlich nur ein Teil der erstaunlichen schlesischen Kultureruption, die ein Beweis der Vitalität und Kreativität dieser Gemeinschaft ist.
An dieser Stelle möchte ich Herrn Sebastian Fikus widersprechen. Die Frage der Rivalität in Bezug auf die Geschichte macht nicht viel Sinn. Seit Jahrhunderten ist sie etwas gemeinsames. Doch die Perspektive der Autochthonen ist, dass sie auf der sozialen Leiter ganz unten standen und dass sich ihre Staatszugehörigkeit ständig änderte: tschechisch, österreichisch, preußisch, deutsch und polnisch. Dies führte dazu, dass die einheimische Bevölkerung private Strategien verfolgte, die darauf beruhten, sich auf ihre Familien-,Nachbarn- und Freundschaftskreise zu beschränken, ohne ihre nationale Zugehörigkeit laut zu demonstrieren.
Und die jahrhundertelange Erfahrung zeigte, dass verschieden Staaten nur für ein paar Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte das Land verwalteten. Die Autochthonen wohnen hier sei vielen Jahrhunderten und so wir wahrscheinlich so bleiben.
Ich stimme auch nicht mit der Einschätzung der oberschlesischen Tragödie überein, als ob sie von schlesischen Kreisen beschlagnahmt wurde. Historische Forschungen und Zeitzeugenberichte zeigen eindeutig, dass sowohl Schlesier als auch Deutsche in den nach 1945 von den polnischen kommunistischen Behörden eingerichteten und betriebenen Lagern gelitten haben. Eine Diskussion darüber, ob es sich ausschließlich um Deutsche oder nur um Schlesier handelte, macht aus der historischen Sicht keinen Sinn.
Schließlich ist der Aufruf zur Einheit eine Mischung aus Pragmatismus und Edelmut. Es ist in der Tat so, dass die Oberschlesischen Deutschen und Schlesier vieles gemeinsam haben: Geschichte, Sprache, Kultur, Erbe, eine bestimmte Art von Sensibilität oder Erinnerung.
Sie unterscheiden sich jedoch durch politische Interessen, Wahlrivalitäten, die Finanzierung von Aktivitäten und ihren rechtlichen Status, der sich im Falle der Schlesier hoffentlich in naher Zukunft ändern wird getrennt. Die Gefahr liegt nicht in der Vielfalt. Sie liegt in den Köpfen der Verantwortlichen und der Gemeinschaften, die sie gestalten. Die neue gesellschaftspolitische Situation in Oberschlesien bietet tatsächlich eine Chance für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Organisationen der deutschen und der schlesischen Minderheit.
Geben wir den Eliten eine Chance, innere Barrieren und falsche Vorstellungen über ihre Gemeinschaften zu überwinden. Wenn sie weiter auf ihren Irrtümern beharren, sollten wir sie einfach auswechseln. Die Krise der deutschen Minderheit und das Aufblühen der schlesischen Volksgruppe schaffen paradoxerweise einen Rahmen für die zukünftige Zusammenarbeit für das Wohl der oberschlesischen Heimat.
Dr. Tomasz Słupik - Politikwissenschaftler, politischer Kommentator, Publizist.