4.9.2024
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Ich bin nicht überzeugt

Eine Reporterin von Spectrum.direct beim Kattowitzer BJDM

Eine Voraussetzung für das Überleben der deutschen Minderheit ist ihre Kontinuität. Die Einführung junger Menschen in die Aktivitäten der Organisation ist dabei sehr wichtig. Dem Bund der Jugend der Deutschen Minderheiten (BJDM) kommt hier eine wichtige Rolle zu. Unsere Reporterin Emilia Labocha wollte herausfinden, wie die Organisation von innen aussieht.

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Fot. Min An

Ich beschloss, mich dem Bund der Jugend der deutschen Minderheit in der Republik Polen (BJDM) in Kattowitz anzuschließen. Als erstes versuchte ich Informationen zu sammeln. Auf der Homepage der Organisation ist jedoch nichts darüber geschrieben, wer für die verschiedenen Kreise zuständig ist und wie man den BJDM in der Landeshauptstadt überhaupt findet.

Bei Wikipedia hingegen stieß ich auf die Information, dass Mitglieder ohne deutschen Hintergrund nur als „fördernde Mitglieder“ eingestuft werden und kein Stimmrecht bei Verbandstreffen haben. Das hat mich nicht gerade positiv zu der Organisation eingestellt. Wie kann eine solche veraltete und archaische Einteilung im 21. Jahrhundert aufrechterhalten werden - in einer Zeit, in der die Grenzen der Nationalität und der kulturellen Identität fließender als jemals zuvor sind? Ich war davon überzeugt, dass diese Art der Segregation aufgrund der Nationalität schon lange auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. 

Außerdem konnte ich auch nachlesen, dass der BJDM eng mit der Zentrale der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen in der Woiwodschaft Schlesien in Ratibor (TSKN) zusammenarbeitet. Dort habe ich auch angerufen und gesagt, dass ich gerne in die Jugendorganisation in Kattowitz eintreten würde. Die Dame, mit der ich sprach, verwies mich weiter an den Herren Maksymilian Michalek, der der Leiter des BJDM in diesem Umkreis sein sollte. 

Ich klopfte also an seine Tür.  Er lud mich zu einem Gespräch in sein eigenes Haus ein. Ich entschied mich also ins Auto zu steigen und dort hinzufahren. Ich hatte Angst, dass die Atmosphäre steif sein würde, vielleicht sogar formell.  Ich hatte das Gefühl, dass es wie ein Vorstellungsgespräch oder noch schlimmer, ein Verhör über meine Herkunft aussehen würde. Aber Herr Maksymilian Michalek begrüßte mich mit einem Lächeln auf den Mund und einer Menge positiver Energie. 

Ich fühlte mich sehr herzlich aufgenommen. Maximilian schlug sofort vor, dass wir per „Du“ zueinander sagen sollten. Er erzählte mir viel über seine Organisation, die 1992 in Oppeln gegründet wurde. Ihr Hauptsitz befindet sich auch heute noch in dieser Stadt. In ihren theoretischen Grundlagen zielt sie darauf ab, die deutsche Kultur, Sprache und Identität zu pflegen, Stereotypen abzubauen und die Freundschaft zwischen den Polen und den Deutschen zu fördern.

Die Mitglieder des Vereins sind in drei Gruppen unterteilt. Die jüngste Gruppe sind die Junioren; sie sind zwischen 14 und 16 Jahre alt. Die eigentlichen Mitglieder der Organisation sind zwischen 16 und 35 Jahre alt. Wenn jemand über diese Altersgrenze hinaus in der Organisation bleiben möchte, wird er mit 35 Jahren zum „Senior“. Der Jahresbeitrag beträgt 20 PLN. Seit letztem Jahr spielt die Frage der Herkunft im BJDM keine Rolle mehr.

Maksymilian erzählte mir von den Projekten und bevorstehenden Veranstaltungen, die das BJDM-Büro in Oppeln organisiert. Unter ihnen wahren verschiedene Arten von Schulungen, Sprachkursen, Teambildungsreisen und Sportveranstaltungen. Viele dieser Veranstaltungen sind internationaler Natur. Der BJDM arbeitet zum Beispiel mit der Brandenburgischen Sportjugend zusammen.  In diesem Jahr veranstaltete er ein Sportcamp, das durch den Deutsch-Polnischen Jugendaustausch finanziert wurde. Auf der offiziellen BJDM-Website finden Sie Fotoreportagen von der Veranstaltung.

Eine tolle Initiative ist auch das City Bound Berlin. Das Projekt bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, in die deutsche Hauptstadt zu reisen. Die Hauptattraktion ist die „Berlin Tour“, ein Rundgang durch Berlin. 

Ich selbst interessierte mich für das Projekt Jugendpunkt. Dabei handelt es sich um eine Art Jugendclub für 12- bis 16-Jährige. Parallel dazu gibt es auch den Jugendpunkt Junior für Kinder im Alter von 7 bis 11 Jahren. Diese Clubs, die von professionellen Kulturanimateuren geleitet werden, bieten eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten an. Sie veranstalten Kunst-, Theater- und Journalismus-Workshops. Auch Geländespiele und Ausflüge in die Tschechische Republik werden organisiert. Diese Klubs funktionieren wirklich; Spuren deren Aktivitäten sind auf Facebook zu finden. Der BJDM organisierte die Sommeraktion „Jugend in Aktion“. Mitglieder der Organisation zogen mit Transparenten, Luftballons und Flyern durch die Oppelner Straßen. Ziel des Ganzen war es, die Einwohner der Stadt auf die Existenz der Organisation aufmerksam zu machen. 

Der BJDM gibt seine vierteljährliche Zeitschrift Antidotum heraus. Die Autoren sind Mitglieder der Organisation, und die in der Zeitschrift behandelten Themen betreffen das Leben in der Gemeinschaft. Auch Lifestyle-, Reise- und Geschichtsthemen sind dort zu finden. Viele der Texte haben mir gefallen. Ich hatte die Gelegenheit, eine Ausgabe der Vierteljahreszeitschrift zu lesen, und ich muss sagen, dass es eine unterhaltsame Lektüre war. Die Zeitschrift ist online verfügbar und wird nach ganz Polen per Post verschickt.

Die Stärke des Oppelner BJDM liegt darin, dass das dortige Büro eine hervorragend ausgestattete und professionelle Kultur- und Tourismusagentur ist. Auf deren Website steht, dass in der Agentur bis zu acht Personen beschäftigt sind. Die Organisation wird hauptsächlich durch Mittel des deutschen und des polnischen Innenministeriums sowie des deutschen Außenministeriums unterstützt. Die Agentur selbst muss sich nicht um den kommerziellen Erfolg ihrer Projekte kümmern. Es ist jedoch merkwürdig, dass auf der Website des BJDM keine Informationen über die Details und Fristen der Projekte sowie über die Einschreibebedingungen zu finden sind.

Ich war von der Begeisterung, mit der Maksymilian Michalek über die Aktivitäten der Organisation sprach sehr beeindruckt. Noch überraschender fand ich allerdings die mangelnde Aktivität der Kattowitzer Niederlassung des BJDM. Vielmehr hat man den Eindruck, dass sie eine Art Briefträger der Projekte ist, die die Agentur in Oppeln vorbereitet. 

Der wichtigste Partner des BJDM in Kattowitz ist der Deutscher Alpenverein (DAV), mit welchem, sie gemeinsam Bergwanderungen organisieren. Man könnte sagen, dass er sogar das Schwungrad des Kattowitzer BJDM ist. Für Maksymilian Michalek ist das Wichtigste, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und unter Menschen zu sein, die dieselbe Vorstellung von der Geschichte der Region haben. Sich mit solchen Leuten zu umgeben, die sich mögen und sich gegenseitig unterstützen.  Ein wichtiger Bereich dieser Mitarbeit ist die Erhaltung und öffentliche Präsentation der deutschen Berglieder aus der Vorkriegszeit, die in Schlesien sehr beliebt waren. 

Der DAV bietet zwar ambitionierte und interessante Projekte an, konzentriert sich aber auf Nischenaktivitäten. Schließlich muss nicht jeder eine Leidenschaft für die Berge haben. Ich habe den Eindruck, dass in meiner Generation nur sehr wenige Menschen solche Interessen haben. 

Der BJDM arbeitet mit der Soziokulturellen Vereinigung der Deutschen in der Woiwodschaft Schlesien (TSKN) zusammen. Als Ziel dieser Organisation gilt die Erhaltung des deutschen Kulturerbes. Sie organisiert eigenständig kulturelle Veranstaltungen. Ein wichtiger Bereich der Zusammenarbeit mit dem BJDM sind Deutschkurse, zu denen Eltern ihre Kinder gerne schicken. Sie sehen Sprachkenntnisse als eine wichtige Kompetenz für das zukünftige Leben ihrer Kinder.  Der BJDM in Kattowitz kann die Räumlichkeiten der TSKN nutzen und hilft seinerseits den Mitgliedern der Organisation mit den technischen und organisatorischen Aspekten. Jeder hat also was aus der Zusammenarbeit.

Ich habe den Eindruck, dass die von der TSKN vorgeschlagenen Initiativen eine anachronistische Dimension haben. Sie berücksichtigen in keiner Weise die Modernisierungsprozesse der Welt, geschweige von den Sehnsüchten und Bedürfnissen der heutigen Jugend. 

Bei der Umsetzung seiner Projekte scheint der BJDM in Kattowitz seine Komfortzone nicht zu verlassen, in der er seine alten Projekte nur mit diesen beiden Organisationen durchführt.  Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sich zu wenige Menschen in das BJDM in Kattowitz engagieren. Michalek allein ist nicht in der Lage, alles zu initiieren.

Die große Schwäche des BJDM in Kattowitz ist die fast völlig fehlende Aktivität auf Facebook. In der modernen Welt ist das mehr oder weniger eine Disqualifikation. Die meisten jungen Leute hoffen, dass sie durch ihren Beitritt zum BJDM in ständigem Kontakt mit den anderen Mitgliedern sein können. Im Jahr 2024 wurde auf der Seite der Organisation in Kattowitz noch immer nichts veröffentlicht. Im Jahr 2023 gab es vielleicht 3 Beiträge. Im Jahr 2022 wurden nur 2 Beiträge getätigt. In den Jahren davor war die Situation ähnlich. So sollte eine Jugendorganisation nicht funktionieren.

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Treffen des BJDM in Kattowitz nicht systematisch organisiert werden. Mal öfter, mal seltener.  Manchmal ziehen sich die Abstände zwischen ihnen in viele Monate. Von einer Kontinuität in der Arbeit der Organisation kann keine Rede sein.  

Ich hatte nicht den Eindruck, dass im BJDM ein Modernisierungsbedarf besteht, oder sogar eine Suche nach ideologischen Modellen, die für die heutige Jugend von Interesse sein könnten. 

Auf den verschiedenen BJDM-Webseiten sieht man Jugendliche im meinem Alter - Menschen Anfang 20 - die strahlen und Spaß haben. Zweifellos habe ich in der Organisation viele interessante Menschen kennen gelernt, jedoch im Vergleich dazu was man im Internet siecht, waren die meisten eindeutig älter als ich. Ich hatte mich darauf eingestellt, Leute in meinem Alter zu treffen, nicht im Alter meiner Onkel. 

Meines Erachtens nach dient die Agentur in Oppeln als eine Art Alibi für alle Aktivitäten des BJDM insgesamt. Ihre Projekte werden als die angeblichen Aktivitäten einer Jugendorganisation dargestellt. In Wirklichkeit sind sie so gut wie nicht existent, wofür der Kattowitzer Kreis des BJDM ein idealer Beweis ist.

Ich habe im BJDM nicht die Menschen gefunden, die ich erwartet habe. Ich fand keine überzeugenden ideologischen Argumente, um meine Existenz im BJDM zu rechtfertigen, geschweige von meinen Engagement in seine Strukturen. Und das war ja das was mich am meisten interessierte. Die Anachronistische Vorstellungen von nationaler Loyalität aus dem 19. Jahrhundert haben mich eher verwirrt. 

Am meisten beeindruckte mich jedoch die Begeisterung von Maksymilian Michalek. Er steckt an mit seiner Energie und seinem Engagement. Es gibt wohl nur wenige Menschen, die so geschickt Menschen zum Handeln motivieren können. Paradoxerweise ist Maksymilian Michałek auch ein Aktivist der schlesischen Autonomie-Bewegung.

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Emilia Labocha