Spectrum.direct feiert in diesem Monat seinen fünften Jahrestag. Das inspiriert uns, eine Bilanz unserer Aktivitäten zu ziehen und die Perspektiven der autochthonen Gemeinschaft zu betrachten.
Spectrum.direct feiert diesen Monat fünf Jahre seines Bestehens. Ich denke, wir können stolz auf das inhaltliche und visuelle Niveau unseres Mediums sein. In diesen fünf Jahren haben wir eine Reihe hervorragender Autoren gehabt, die für uns geschrieben und Filme gemacht haben. Wir haben uns bemüht, wichtige Themen zu behandeln, um eine Brücke zwischen den politisch gespaltenen Autochtonen zu schlagen. Damit meinen wir die Nachkommen der ehemaligen Bürger des preußischen Staates, die dieses Land einst bewohnten, d.h. die Mitglieder der deutschen Minderheit, sowie diejenigen, die sich mit Recht mit ihr identifizieren können.
Wir wollen dazu beitragen, dass ein exterritoriales Zusammengehörigkeitsgefühl Autochthonen entsteht, dass ihre Mitglieder möglichst viel voneinander wissen, dass sie sich verstehen und Gemeinsamkeiten sehen. Dass sie sich gegenseitig akzeptieren und den Kontakt zueinander suchen.
Was sie verbindet, ist eine gemeinsame Geschichte. Die Autochthonen sind zu verschiedenen Zeiten von der preußischen Elite unwürdig diskriminiert worden; vor allem im 19. Jahrhundert, als sie von dieser unmenschlich ausgebeutet und gedemütigt wurden. Die Erinnerung daran manifestiert sich auch heute noch in einem Widerwillen, sich bedingungslos mit Deutschland zu identifizieren. In Oppelner Schlesien ist dieses Vorurteil schwächer ausgeprägt.
Das größte Trauma für die gesamte Gemeinschaft sind die Ereignisse nach 1945. Einige Mitglieder dieser Gemeinschaft wurden in kommunistischen Arbeitslagern eingesperrt, wo sie gefoltert, ausgehungert und schließlich oft ermordet wurden. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Autochthonen von den preußischen Eliten in ähnlicher Weise verachtet und diskriminiert wie zuvor. Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit ist bei ihnen sehr lebendig und gehört zu den integrierenden Elementen dieser Gemeinschaft. Vielleicht distanzieren sie sich deshalb am häufigsten von nationalen Identifikationen. Und wenn sie dies tun, werden ihre Versuche für aktuelle politische Spiele genutzt.
Gleichzeitig bekunden die Autochthonen sehr deutlich ihre Verbundenheit mit Oberschlesien. Doch in dieser Hinsicht haben sie es nicht leicht. Abgesehen von der Basilika auf dem St.Annaberg scheint es keine besonderen architektonischen Wahrzeichen zu geben, mit denen sie sich identifizieren könnten, und so betonen sie ihre Verbundenheit mit der Landschaft, den Feldern und den Kapellen, die hier besonders zahlreich vorhanden sind. Im industriellen Teil von Oberschlesien sind dies Familienhäuser, Schächte, Gebäude nach dem Bergbau oder nach der Fabrik. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem Land ist ein wichtiges Element ihrer Identität.
Ein weiteres wichtiges Element ist die schlesische Sprache, die ein Symbol für ihre Einheit ist. Jeder Versuch, ihre Besonderheit zu untergraben, ist ein unwürdiger Versuch, den Autochtonen ihr Recht aufs Anderssein abzusprechen. Wie wichtig dieses Thema für die Gemeinschaft ist, zeigt der enorme Zuspruch zu kulturellen Veranstaltungen in der schlesischen Sprache, der unvergleichlich größer ist als z.B. bei kulturellen Initiativen auf Deutsch.
Es ist aber auch wahr, dass die schlesische Sprache in vielen Familien verschwindet. Wegen ihrer integrierenden Kraft sollten sich alle Autochthonen um den Erhalt der schlesischen Sprache bemühen. Dies erfordert sowohl die Vermittlung ihrer Sprache in den Schulen als auch und vor allem ihre breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Dass die Identität der Autochthonen auf einem slawischen Fundament aufbaut, steht wohl außer Zweifel. Seit dem Mittelalter sind sie jedoch von verschiedenen deutschsprachigen Kulturimpulsen beeinflusst worden. Die Identität der Autochthonen entwickelte sich daher in weitgehender Isolation von der an der Weichsel lebenden Gemeinschaft. Jahrhundertelang waren die Sehnsüchte, Ängste, aber auch die Leiden dieses Volkes völlig verschieden. Die schlesischen Volkslieder des 19. Jahrhunderts hatten nie eine patriotische Ausrichtung, sondern sprachen immer von der Verbundenheit mit der unmittelbaren Umgebung in Schlesien und der heimatlichen Landschaft. Die Autochthonen erzählten sich ihre eigenen, für die Region spezifischen Legenden. Heute sind diese Erzählungen, größtenteils, leider völlig in Vergessenheit geraten.
Die Besonderheit der Autochthonen drückt sich auch in einer stärkeren Ordnungsliebe, einem besonderen Arbeitsethos, einem größeren gegenseitigen Vertrauen und einer Vorhersehbarkeit des Verhaltens aus. Sie haben sich ein ganz eigenes Konglomerat von Vorurteilen, Empfindlichkeiten, Werten und Sehnsüchten geschaffen. Zu dieser Identität gehören auch bestimmte lokale Bräuche, denen sie besondere Bedeutung beimessen.
Erstaunlich ist jedoch, dass die Autochthonen in gewissem Maße preußische Traditionen verherrlichen. Das heißt, die Traditionen einer bestimmten kulturellen Formation, die ein Meer von Elend nach Schlesien brachte. Die heutigen Autochthonen vergessen schnell, dass ihre Urgroßeltern vor 1914 Preußen als die Verkörperung allen Übels und aller Unterdrückung sahen, dass es für sie ein verhasster Unterdrücker war.
Heute scheinen die preußischen Traditionen den Autochthonen vertrauter und näher zu sein als die säkulare Kultur des modernen Deutschlands. Zu diesem Ressentiment hat zweifellos auch der Umgang mit ihnen in der Bundesrepublik nach 1989 beigetragen. Es war, als ob sich die Geschichte aus dem 19. Jahrhundert wiederholen würde. Dort waren sie wieder Menschen zweiter Klasse, die man ungestraft ausbeuten und betrügen konnte.
Dieses Trauma manifestiert sich bis heute in einem mangelnden Interesse, Deutsch zu lernen.
All das führt dazu, dass das Deutschsein bei den Autochthonen ein ganz anderes ist als in der Bundesrepublik. Es hat oft einen schlummernden Charakter und wird je nach Situation abgerufen. Aber auf diesem prekären Fundament Konstruktionen zu errichten, die die Existenz einer schlesischen Nation postulieren, ist wohl ein Missbrauch. Es ist ein weiteres Instrument zur Zerstörung der bereits geteilten Autochthonen.
Das Leitmotiv unserer journalistischen Tätigkeit ist das Postulat geworden, die schlesische Geschichte neu zu schreiben. Diese Annahme ist mit einer gewissen Zweideutigkeit behaftet. Bisher wurde die Geschichte der Region entweder aus polnischer oder aus deutscher Sicht geschrieben. Dies hat zur Folge, dass die Reflexionen über die Vergangenheit Oberschlesiens so unterschiedlich sind, dass man den Eindruck gewinnen könnte, die beschriebenen Phänomene hätten sich in völlig unterschiedlichen Räumen abgespielt, wenn man nicht die Identität der Akteure und die Geographie der Orte berücksichtigen würde.
Spectrum.direct versucht, sich nicht den Einflüsterungen der einen oder anderen Seite zu beugen, sondern eigene Interpretationen zu suchen und die Autochthonen zum Gegenstand der Ereignisse zu machen. Diese Vision der Geschichte, frei von politischer Manipulation, haben wir versucht, in unseren Gedenkstätten zu zeigen.
Aber der Versuch, die Geschichte umzuschreiben, ist auch ein Postulat, um die Gegenwart zu inspirieren und ihren Verlauf zu beeinflussen. Während es uns relativ leicht fiel, die Geschichte ohne ideologische Vorurteile neu zu schreiben, war es weitaus schwieriger, die Ereignisse zu inspirieren.
In diesem Sinne war der wichtigste Text der letzten Monate auf der Spectrum-Website ein Gespräch mit Norbert Rasch unter dem Titel „Minderheit hat Perspektiven. Wir benutzen die schlesische Sprache jeden Tag“. Der ehemalige Vorsitzende des TSKN forderte die Eliten der deutschen Minderheit auf, Schlesisch offiziell als zweite Sprache der Gemeinschaft anzuerkennen. Dies wäre ein wichtiger Schritt sowohl zur Stärkung der Gemeinschaft selbst als auch zu ihrer Vereinigung. Eine solche Entscheidung der Minderheiteneliten würde diese erheblich stärken. Man hat den Eindruck, dass Norbert Rasch mit seiner Stimme allein dasteht und ihr keine konkreten Handlungen folgen werden. Die Eliten der Organisation werden sich wohl weiterhin an ideologisch diktierte Fiktionen klammern.
Norbert Rasch hat auch Recht, wenn er sagt, dass die Minderheitengemeinschaft ernsthafte kulturelle Initiativen braucht. Initiativen, mit denen sich die Autochthonen identifizieren können und die ihnen ein Gefühl des Stolzes auf die Zugehörigkeit zu ihrem eigenen Umfeld vermitteln. Im Oppelner Schlesien zögern viele Autochthone noch immer, sich zu ihrem Deutschsein zu bekennen.
In der Zwischenzeit ist es den mit dem VdG verbundenen Organisationen nicht gelungen, ein sinnvolles künstlerisches Projekt auf die Beine zu stellen. Dabei hätten Initiativen im Bereich der Musik oder der bildenden Kunst durchaus angeregt werden können. Es gibt so viele professionell tätige Künstler, die aus diesem Umfeld kommen und sich damit identifizieren. Das Fehlen ernsthafter künstlerischer Initiativen ist wahrscheinlich auf die Abneigung der Elite der deutschen Minderheit gegenüber kreativen Kreisen zurückzuführen. Im Kattowitzer Schlesien hingegen gibt es diese Zurückhaltung nicht, und hier entstehen hervorragende, professionelle künstlerische Veranstaltungen, bei denen die schlesische Sprache verwendet wird. Erwähnenswert sind hier zum einem das Theaterstück „Mianują mnie Hanka“ des Korez-Theaters als auch das Kabarett „Sztefa i Brajan“.
Wir möchten auch eine noch stärkere Beteiligung von Minderheitenorganisationen an dem Internet anregen. Autochthone leben zunehmend in der Diaspora und sind nicht mehr eine Gruppe, die an einem bestimmten geografischen Ort lebt. Dank der Online-Kommunikation und der sozialen Medien entsteht eine neue Situation, in der die Autochthonen wieder auf einer virtuellen Straße zusammenleben können. Provinz- und sogar Landesgrenzen werden keine Bedeutung mehr haben.
Grundschulfreunde, obwohl der eine in Groß Strehlitz und der andere in München lebt, können täglich Kontakt halten, sich sehen und ihre Sorgen teilen. Auch wenn sie durch tausend Kilometer getrennt sind, kann die Intensität ihrer Beziehung die gleiche sein, als ob sie noch im selben Treppenhaus wohnen würden. Dieser Transfer vom kulturellem und sozialem Leben ins Netz ist eine große Chance für die Autochthonen, ihre Identität für die kommenden Generationen zu bewahren. Die Einbindung der Vertriebenen in Deutschland in diesen sozialen und kulturellen Kreislauf ist eine hervorragende Gelegenheit für diese Gemeinschaft.
Dies sind keine Forderungen zur Rettung eines untergehenden Atlantis. In einer globalisierten Welt voller homogenisierender Kulturen bleibt der Einzelne zunehmend entwurzelt, einsam und desorientiert. Daher die wachsende Bedeutung lokaler Gemeinschaften, auch solcher, die nur exterritorial online existieren. Die Menschen brauchen einen Halt, das Bewusstsein, in einer Gruppe von Menschen mit einer ähnlichen Geschichte und Sensibilität zu leben. Dies ist kein politisches oder nationales Postulat. Es ist eine Forderung, die das elementare menschliche Bedürfnis nach Teilnahme an der eigenen Kultur bedient.
Wir wollten und wollen die Probleme der autochthonen Gemeinschaft und ihren Zustand diskutieren. Inzwischen boykottieren sowohl der VdG selbst als auch seine Medien konsequent unsere ideologischen Vorschläge. Es erscheint keine Kritik oder gar Polemik gegen unsere Inhalte. Das ist schade, denn wir halten eine solche Debatte für notwendig. Es wäre wohl besser, wenn der VdG eine Organisation wäre, die aufbaut und inspiriert, anstatt Andersdenkende zu boykottieren.
Das ändert nichts an unserer Überzeugung, dass der VdG nach wie vor gebraucht wird, und zwar sehr. Nur eben mit einer etwas anderen Ausrichtung als bisher.
Um auf den fünften Jahrestag von Spectrum.direct zurückzukommen, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um Natalia Klimaschka, Tomasz Strojecki, Igor Molodecki und Anna Stawiarsky für ihre Konsequenz und Entschlossenheit bei der Schaffung unseres Projekts zu danken. Ohne ihre Unterstützung wäre der Erfolg von Spectrum unmöglich gewesen.