Preußen als Alternative

Tschechische Inspirationen könnten die Kluft zwischen den Autochthonen überwinden

Die Autochthonen in Oberschlesien sehen sich meist entweder als Schlesier oder als Deutsche. Der preußische Staat ist in Vergessenheit geraten, und kaum jemand identifiziert sich noch mit ihm. Ganz anders ist die Situation in dem tschechischen Teil Oberschlesiens. Dort ist der Staat von Wilhelm II. für viele der Schlüssel zur Identität. Diese Traditionen werden auch aktiv gepflegt.

Preussisch Rallye, hultschiner Laendchen, tschechisch Obeschlesien
Fot. Natalia Klimaschka

Das tschechische Städtchen Kravaře liegt nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörte es zum preußischen Staat, der ein Teil des Deutschen Reichs war. Damals nannte sich die Stadt Deutsch Krawarn. Gleichzeitig gab es weniger als 30 Kilometer entfernt Polnisch Krawarn das heute Krowiarki genannt wird. Im 19. Jahrhundert gehörten beide Orte zum gleichen Kreis Ratibor. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein großer Teil dieses Kreises, der Kraik Hulčín, dem tschechischen Staat angeschlossen, um dann im darauffolgenden Krieg kurzzeitig zurück als Teil des Ratiborer Kreises angeschlossen zu werden.

Man könnte also meinen, dass es heute auf beiden Seiten der Grenze Autochthone mit ähnlichen Traditionen, Identitäten und politischen Befindlichkeiten gibt. Sie hatten nach dem Krieg genau die gleichen Probleme wie die Autochthonen in Ratibor. Sie erlebten politische Diskriminierung oder erzwungene Namensänderungen auf die gleiche Weise. Die Bewohner des südlichen Teils des ehemaligen Kreises Ratibor betrachten sich jedoch als Preußer (Prajzáci)!

Die Autochthonen der Region Hulčín sind stolz auf ihre Eigenständigkeit. Sie sagen von sich selbst, sie seien eine Gruppe von Menschen, die schon seit Generationen hier lebt und sich mit ihren Wurzeln stark verbunden fühlt. Die Preußer gelten als zähe, hartnäckige und widerstandsfähige gegenüber schwierigen Bedingungen Leute, die das Ethos von Familie und Arbeit respektierten. Und obwohl sie seit Jahrhunderten von tschechischen und deutschen Einflüssen geprägt sind, empfinden sie eine Eigenständigkeit, ähnlich zu der der polnischen Autochthonen. In Kattowitz oder Oppeln bezeichnen sie sich als Schlesier oder als Mitglieder der deutschen Minderheit, je nachdem, welche politische Option sie wählen.

Die tschechischen Autochthonen gingen einen anderen Weg und proklamierten die Gründung der preußischen Republik (!!!). Wiederstand gegen den Bismarck- und Kaiser-Wilhelm-Kult gibt es hier jedoch nicht. Die politische Toleranz in der Tschechischen Republik ist offenbar viel weiter gefasst als auf der polnischer Seite.

Die Autochthonen aus der "Preußischen Republik" verheimlichen ihre Sehnsüchten nicht. In der Region Hulčín tragen sie mit Stolz den preußischen Adler auf ihren T-Shirts und kleben ihn auf ihre Autos. In fast jedem Dorf stellen sie einen Maibaum auf, der auf die deutsche Traditionen zurückgeht.

Auch die Mitglieder des Auto Motorrad Vereins Deutsch Krawarn und des Geschichtsvereins Hultschiner Ländchen beziehen sich ausdrücklich auf diese Traditionen. Seit mehr als 20 Jahren veranstalten sie die "Preußisch Rallye", auf Tschechisch "Prajzská Rallye" genannt. Sie findet immer am ersten Samstag im Juni statt. 

Eingeladen sind alle Liebhaber alter Fahrzeuge. Die Rallye führt durch die Dörfer des ehemaligen Kreises Ratibor, die sich heute auf beiden Seiten der tschechisch-polnischen Grenze befinden. Ziel der Rallye ist es, an diese preußischen Traditionen zu erinnern und sie zu pflegen.

Startpunkt der Rallye ist traditionell das Barockschloss in Krawarn, das einst der Familie des Dichters Joseph von Eichendorff gehörte. Die gesamte Veranstaltung findet in Form einer bewegender Ausstellung alter Fahrzeuge statt. Die befahrene Strecke ist mehr als 60 Kilometer lang und enthält  mehrere Kontrollpunkte, an denen sich die Autos anhalten. Entlang des Weges sind zahlreiche historische Sehenswürdigkeiten zu sehen, die mit der alten preußischen Vergangenheit der Region verbunden sind. Dazu gehören zum Beispiel das Kriegsmuseum in Kuchelna, die Bunker bei Bohuslavice oder auf polnischer Seite der Platz in Kranowitz oder das Schloss in Tworkau. Die Teilnehmer der Rallye betrachten diese Orte als offensichtliche Spuren des preußischen Erbes.

Kaiser Wilhelm Hohenzollern ist vielleicht keine Figur, die verehrt sein sollte, da er für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich war. Dennoch könnte die tschechische Inspiration die autochthone Gemeinschaft im polnischen Oberschlesien erheblich stärken. Vielen Autochthonen würde es wahrscheinlich leichter fallen, sich mit Preußen als mit Deutschland zu identifizieren. Auch eine Rallye alter Autos, die den Autochthonen gehören, wäre zweifellos eine verfolgenswerte Initiative.

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Natalia Klimaschka